Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
Watte verpackte Menschen flogen vorbei und sprachen durch Megaphone, andere saßen auf Honigkuchenpferden und zerflossen wie Bilder von Dali. Alles begann, aus dem Rahmen zu kippen. Jürgen lupfte sich todesmutig auf die Bühne, zählte geschwind Beine und Arme durch, fand alles am richtigen Platz, zählte sich einen an … eins zwei blei tier. Als er fertig überlegt hatte, was er da gerade eventuell angezählt haben möchte, waren drei Stunden rum. Jürgen hatte wie aufgezogen gespielt, er hatte die entfesselten Menschenleiber im Orbit über dem extraterrestrischen Flokati auf- und abwogen gesehen. Und er hatte in ihren Augen erkannt, dass sie gerade kollektiv Gott erblickt haben mussten. Er schätzte, dass der wohl direkt neben der HiHat gestanden hatte. In dem Moment sah er hinter sich einen Schatten. Den kannte er, das war nicht Gott. Das war Rolf Schmold. Der konnte Schlagzeug spielen, Gott nicht. Also drückte er Rolf die Drumsticks in die Hand und sagte „Spielweiter“. Dann breitete er seine Flügel aus und flog über den dicken rauchenden und stöhnenden Flokati an die Bar.
Abzüglich der Wirkung der Nutellatrallalas: Am nächsten Morgen befiel Jürgen eine Erkenntnis, und die war keineswegs ernüchternd, sondern im Gegenteil eher berauschend: „Du kannst ja am Schlagzeug irgendwas spielen. Du musst ja nicht spielen, was dir einer vorgibt.“ Weg mit den Songstrukturen! Mit Jazz hatte er bislang nicht viel zu tun gehabt, aber diese Freiheit, die hatten die Jazzer ihm und seinen Kumpels bislang vorausgehabt. Willkommen in den Siebziger Jahren: Freies Jammen für das Volk. Das sollte das Motto der kommenden zwei Jahre werden.
Die Band war variabel. Da war beispielsweise Peter Koch. Kurz nach dem Gig im Volksbildungsheim musste er zum Bund, litt fürchterliche Qualen, weil er seine schöne lange Matte abschneiden musste. „Ich seh ja aus wie Volker Fut aus den Crumb-Comics“, sagte er. Von seiner Band konnte ihn Vater Staat nicht trennen. Er kam, wenn es irgendwie ging, zu den Auftritten. Dann stieß ein sechzehnjähriger Amerikaner zu den Musikanten, Ron Peterson, ein begnadetes Gitarrentalent aus Florida. Überhaupt wechselte die Besetzung ständig lustig vor sich hin. Und Konzerte gab es an den unglaublichsten Orten. Ha! Auf der
MS Vaterland
zum Beispiel, einem Ausflugsdampfer auf dem Main. Das Publikum zog mit, egal wohin. Selig stolperten sie die Gangway hinauf, wiegten für eine unbestimmbare, zerfließende Zeit ihr prächtiges Haupthaar im Klang, und berauscht von der Kraft von
Nicoyas Greatest Hits
stolperten sie wieder hinunter, um alsbald zum nächsten Konzert zu wallfahrten, das ihr Bewusstsein wieder an anderen Ecken und Enden ausbuchten würde. In Kassel wohnte Pete „Wyoming“ Bender. Mit ihm zusammen wurden regelmäßig zwei Läden bespielt. Das Standquartier für die Band war dabei eine Blockhütte im Wald bei Melsungen, die einem Fan gehörte. Knapp bemessen für die tourende Truppe, zwölf Mann und Frau. Wer drinnen keinen Platz mehr fand, legte sich eben vor die Tür oder aufs Dach. Weil es im Sommer heiß war und eh kein Mensch diesen Wald besichtigte, pflegten die freundlichen Herren von Nicoya tagsüber textilfrei zu logieren. Christian Felke schwebte ganztägig, nur bekleidet mit seinem Altsaxophon durchs Unterholz und übte Wildschweingeräusche.
JÜRGEN ZÖLLER … SELBST: Es gab mal eine Zeit in den frühen 70ern, da habe ich Rockjazz gemacht. Das ist zufällig entstanden über ein paar Freunde, das war das erste Mal, als ich Schlagzeug vollkommen frei spielen konnte, nur improvisiert. Das hat auch viel Spaß gemacht eine Zeit lang, aber irgendwann war mir das dann zu elitär. Ich hab’ die Songs vermisst. Das ist mir eigentlich das Wichtigste, songdienlich zu spielen und in einer Band, in einer Bandstruktur. Das zu machen, was vom Schlagzeug erwartet wird, nämlich das Fundament zusammen mit dem Bass bilden und den Song dynamisch zu gestalten. Die Strophen, die Bridge, der Refrain, das soll sich voneinander abheben. Mir war es nie wichtig, am Schlagzeug großartig zu glänzen als Techniker. Wobei ich ehrlich gesagt auch nie sehr viel geübt hab’. Ich hab’ halt das Glück gehabt, schon in den 60ern anzufangen – und ich hab’ immer eine Bandgehabt. Meine Devise ist: spielen, spielen! Ich bin nicht der Typ, der alleine in den Proberaum geht und dann anfängt, da rumzudaddeln. Wenn, dann höchstens, um einen Sampler auszuprobieren oder so etwas.
Der erste
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