Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
vergleichen mit China. Jeder Abend volles Haus, jeder Abend ein Zugabenblock, den andere Bands locker als volle Konzertlänge inklusive Zugabe für sich reklamiert hätten. Ein „Heimspiel“ in der ausverkauften Frankfurter Festhalle stand am 5. November auch auf dem Programm, und natürlich packte selbst einen Profi bei so was das Lampenfieber. Es war erst sein zweiter Auftritt in Frankfurts „Gudd Stubb“, mit Supermax hatte er schon einmal hier gespielt – aber damals war die Halle praktisch leer gewesen. Der Zeitungsreporter Christian Boppert von der Nachtausgabe brachte gar das (wahrscheinlich gut erfundene) Zitat zu Papier: „Hoffentlich verhau’ ich mich nicht“ Selbstredend verhaute er sich nicht. Hinterher stand unter der Überschrift „BAP-Marathon in Frankfurt: 14.000 ausgelassene Fans“ vom gleichen Autor Launiges zum Lobe des Hector Zappel zu lesen, und das stimmte nun wirklich: „Höhepunkt: Jürgen Zöller, der Frankfurter Schlagzeuger in BAP-Diensten, ließ die Stöcke fallen und sang in vorderster Front ‚Born to be wild’. Ein Gag fürs Heimspiel in der Festhalle, überraschend selbst für Niedecken & Co“. In der Tat: „Du kannst doch auch singen …“ waren Kalau und Steve zwischen zwei Zugaben auf ihn zugetreten, und so geschah es dann. „Get your motor runnin’ …“ eröffnete Wolfgang wie gewohnt, und bei „head out on the highway“ war Jürgen schon aus der Tiefe des Raums ans Gesangsmikro geflutscht. Kapellmeister Heuser schaute irritiert nach links. Die Stimme kam ihm bekannt vor – aber nicht als Gesangsstimme, denn da hatte er nun den Kalau erwartet. Und wer saß da jetzt am Schlagzeug? Aha: Der Kalau! Auch gut. Na, denn. „I like smoke and lightning – Heavy Metal Thunder …“ Der Zeiger an der nach oben offenen Zappel-Skala schlug soweit aus, dass für einen Moment der Eindruck entstand, die Skala wäre gar nicht nach oben offen. Ging es noch besser?
Jürgen erlebte bei diesem Tournee-Marathon, wie die begeisterten Menschen in den ausverkauften Hallen BAP-Songs in sich aufsaugten, verinnerlichten und zu einem Teil ihres eigenen Lebens machten. Was Wolfgang Niedecken sang, war für die textsicheren Fans in den vollen Hallen Lebenshilfe, Seelenbalsam. Das zu wissen und zu spüren, ließ dem Schlagzeuger Flügel wachsen. Da vergaß er schon mal seine Verwunderung darüber, dass Kapellmeister Heuser ausgerechnet den Song, der so wichtig für viele Fans war, am liebsten gar nicht mehr gespielt hätte. Was auf der Tour zu einer Unplugged-Version von „Verdamp lang her“ führte, die eher Verlegenheits- als echte Lösung war. Egal, beschwert hat sich wohl keiner. Über 20 Jahre machte Jürgen nun schon mehr oder weniger professionell Musik, aber solche Publikumsreaktionen hatte er bislang noch nie erleben dürfen. Andere in der gleichen Situation hätten sich jetzt vermutlich verspiegelte Sonnenbrillen aufgesetzt, einen Farbberater für die Drumsticks engagiert oder wären einem Golfclub beigetreten. Jürgen zog es vor, weiterhin Sex zu haben und nicht zu vergessen, was ein Bembel Äppelwoi war. Die Fan-Verehrung setzte sich auch abseits der Bühne fort. Was er in den ersten Monaten in dieser Band davon mitbekam, ließ ihn dem großen Gott des Rock’n’Roll danken, dass er „nur“ der Schlagzeuger war. Er schaffte es noch, halbwegs unbehelligt seiner Wege in Köln zu gehen. Dort, wo er lief, kam der Straßenverkehr eher nicht zu Erliegen. Aber mit „I was walking down a lonely street, da daa Dadam“ war jetzt nicht mehr viel. Und wohin Wolfgang Niedecken und Klaus Heuser ihre Schritte auch lenkten, da war die street nicht mehr lonely. Da kamen Menschen – gar aus dem Schwäbischen – nach Köln, um sich strategisch günstig aufzustellen oder hinzusetzen. Manche saßen an Straßenecken, mit Blick auf Eingangstüren. Stundenlang schauten sie auf diese Eingangstüren, durch die jederzeit Klaus Heuser oder Wolfgang Niedecken auf die Straße treten konnten. Wenn das erwartete Ereignis eintrat, verfolgten sie die lang Ersehnten und begleiteten sie ein Stück des Weges. Man traf sie auch vorm Proberaum, manchmal schrieben sie auch Postkarten aus dem Urlaub. „Ich bin jetzt im Schwarzwald, es ist sehr schön hier. Liebe Grüße“ Schmal erzählte Jürgen, zu Weihnachten sei ein Päckchen von einem weiblichen Fan gekommnen – mit 10 Mark in bar für ihn, Major habe eine Leerkassette bekommen. Für Jürgen interessierten sich damals wie heute eher die Kollegen,
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