Julia Ärzte zum Verlieben Band 36
sie ebenfalls brauchen würde.
Sie strich einen Klecks Gel zwischen Tillys Lippen, wo der Zucker über die Schleimhäute am schnellsten im Körper aufgenommen werden konnte.
Wie lange ist sie schon bewusstlos? Und wo ist John? Er musste doch schon Feierabend haben … Annie beugte sich über Tilly und ritzte ihre Fingerkuppe an, um den Schnelltest zu machen.
Ihr Blutzuckerwert war dramatisch niedrig, kein Wunder, dass sie ohnmächtig geworden war. Sie musste unbedingt ins Krankenhaus. Während Annie in ihrer Tasche nach dem Handy kramte, hörte sie Rafael ihren Namen rufen.
Dann stand er im Zimmer und erfasste die Situation mit einem Blick.
Annie berichtete kurz. „Ich wollte gerade einen Krankenwagen rufen“, schloss sie.
„Hat sie kein Glukagon da?“ Er hockte sich neben sie, um Tillys Puls zu messen. „Wir sagen allen diabetischen Schwangeren, es im Notfall zu benutzen. Irgendwo muss hier eine Spritze liegen.“ Rafael nahm den Herztonschreiber, den Annie ihm reichte. „Sieh doch einmal nach, ich checke die Herztöne.“
„Sollte ich nicht erst in der Rettungszentrale anrufen?“
„Nein, erst das Glukagon, das verschafft uns die Zeit, die wir brauchen.“
„Ich hab’s!“, rief Annie aus, nahm die Kappe ab und stieß Tilly die Kanüle in den Oberschenkelmuskel. Zum Glück hatte Tilly die Spritze gut sichtbar auf der Kommode liegen lassen.
„Eigentlich müsste sie gleich wieder zu sich kommen“, sagte Rafael.
Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da stöhnte Tilly leise und rührte sich. Über ihren Körper hinweg lächelten sich Annie und Rafael an. Ihre Blicke verfingen sich, und wieder wurde alles um sie herum bedeutungslos. Er sieht mich an, als ob … dachte sie atemlos.
Sekunden später schwand der zärtliche Ausdruck in seinen dunklen Augen. Zurück blieb der anerkennende Blick für eine Kollegin, die ihre Sache gut gemacht hatte. Mehr nicht.
„Wir müssen sie trotzdem ins Krankenhaus bringen“, sagte er in professionellem Ton. „Dem Baby scheint es gut zu gehen, aber ihr Diabetes ist überhaupt nicht unter Kontrolle. Tilly ist in der fünfunddreißigsten Woche. Wir sollten kein Risiko eingehen und das Kind holen.“
„Sie hat sich dieses Baby so sehr gewünscht“, wunderte sich Annie. „Es passt überhaupt nicht zu ihr, dass sie seine und ihre eigene Gesundheit leichtsinnig aufs Spiel setzt.“
„Darum kümmern wir uns später. Ich schlage vor, dass wir sie in meinem Wagen ins St. Piran fahren, sobald sie wieder zu sich gekommen ist. Was meinst du?“
Annie nickte.
Tilly bewegte sich, schlug die Augen auf und sah Annie alarmiert an. „Wo bin ich? Was ist passiert? Wo ist John?“ Sie versuchte, sich aufzusetzen und blickte sich wie gehetzt im Zimmer um. Als sie ihren Freund nirgends entdeckte, sank sie förmlich in sich zusammen und fing an zu weinen. „Er ist nicht da, stimmt’s? Oh, was soll ich bloß machen?“
„Beruhigen Sie sich, Tilly.“ Annie strich ihr über den Arm. „Sie waren völlig unterzuckert und sind ohnmächtig geworden. Dr. Castillo und ich bringen Sie jetzt ins Krankenhaus. Sie können John von Ihrem Zimmer aus anrufen.“
„Sie verstehen mich nicht. Er kommt nicht zurück. Er will mich nicht mehr, und das Baby will er auch nicht.“ Und als Annie tröstend die Arme um sie legte, fing sie herzzerreißend an zu schluchzen.
Als Tilly endlich auf der Station lag, war es fast acht. Rafael wollte noch warten und die endgültige Entscheidung über einen Kaiserschnitt erst morgen treffen. Annie war hundemüde und hungrig und sehnte sich nur noch nach ihrem Zuhause.
Rafael hielt ihr die Beifahrertür auf. Kaum saß sie, musste sie herzhaft gähnen.
„Ich glaube, ich gehe sofort ins Bett“, murmelte sie. „Ich bin so fertig, dass ich an Kochen nicht einmal denken mag.“
„Dann sehe ich mal nach, was dein Kühlschrank hergibt. Ich kann vielleicht keinen guten Toast machen, aber meine Tortillas sind berühmt“, fügte er mit einem selbstbewussten Lächeln hinzu.
Annie protestierte. Schon bei der Arbeit fiel es ihr schwer, ihre Gefühle für ihn zu verbergen, aber jetzt, allein mit ihm in ihrem Haus, wenn sie völlig erschöpft war? Sie würde sich noch verraten …
„Widerspruch ist zwecklos“, entgegnete Rafael. „Du bist müde, ich mache dir etwas zu essen. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.“
Vor ihrem Haus stellte er den Motor ab, sprang aus dem Wagen und hielt ihr galant die Tür auf. Was blieb Annie anderes übrig, als seine
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