Julia Ärzte zum Verlieben Band 37
daran gelassen, dass sie eine erotische Beziehung hatten.
Als er sie das erste Mal in der Klinik vor den Augen aller Kollegen zärtlich streichelte, war Viv entsetzt gewesen. Doch statt auf ihre abwehrenden Gesten zu reagieren, war er eng umschlungen mit ihr nach draußen gegangen. Viv wäre vor Verlegenheit am liebsten im Erdboden versunken, doch Ghaleb blieb völlig gelassen. „Entspann dich, ya hayati “, hatte er sie später beruhigt. „Meine konservativen Untertanen und mein Status sind mein Problem. Ich weiß genau, was ich tue.“
Sie hatte es akzeptiert. Er hatte ja recht – es war sein Problem. Genau, wie es sein Land war. Es ging um seinen Ruf und um seine Stellung, und nur er allein konnte entscheiden, ob er beides in Gefahr bringen wollte. Sie würde irgendwann nicht mehr da sein, früher oder später …
„Prinz Ghaleb!“
Der Schrei ließ sie zusammenzucken.
Abdur-Rahman kam ihnen entgegengerannt. Er sah aus, als hätte er ein Gespenst gesehen. Noch ehe Ghaleb ihn fragen konnte, was ihn so beunruhigte, rief er ihnen mit angstvoller Stimme zu: „Sam ist verunglückt! Er ist in der Bucht beim Klettern auf den Felsen ausgerutscht. Er ist bewusstlos und blutet!“
In dem nun folgenden Albtraum, der ihre kleine Welt in ihren Grundfesten erschütterte, fühlte Viv sich, als wenn sie auf Treibsand liefe. Heiße Tränen rannen ihr die Wangen hinunter. Nur undeutlich nahm sie wahr, was um sie herum geschah.
„Rettungshubschrauber. Zur Bucht vor meinem Sommerpalast. Sofort!“
Die Dringlichkeit, mit der er die telefonische Anweisung gegeben hatte, sickerte in ihr Unterbewusstsein ein. Bevor sie begriff, was geschah, schleuderte Ghaleb Abdur-Rahman den nächsten Befehl zu.
„Die Notfalltaschen in den Jeep. Schnell!“
Er nahm ihre Hand, und sie rannten los. Ghalebs Miene war wie versteinert, die Augen dunkel vor Sorge. Viv stolperte.
„Ghaleb …“
Kurzerhand hob er sie hoch. Im Laufschritt erreichte er den Jeep, der mit quietschenden Reifen losfuhr.
„Viv, hör mir zu. Ich möchte, dass du mir Sams Versorgung überlässt.“
„Nein! Nein … ich …“
Ghaleb umschloss ihr Gesicht mit beiden Händen, um sie zu beruhigen. „Ich verstehe, wie du dich fühlst …“ Protestierend schüttelte sie den Kopf. „Doch, das tue ich. Ich liebe Sam und habe furchtbare Angst um ihn, doch in diesem Zustand kannst du ihm nicht helfen. Du bist im Augenblick nur eine verzweifelte Mutter und keine Ärztin. Wenn du dich nicht beruhigst, kann ich dich nicht zu ihm lassen. Verstehst du mich, Viv?“
Irgendetwas in ihrem Kopf machte Klick, und das Tosen ihrer Gedanken hörte auf. In der darauffolgenden Stille hörte sie sich selbst ruhig und entschlossen sagen: „Ich bin okay. Ich werde mich um ihn kümmern. Er ist alles, was ich habe …“
Prüfend sah Ghaleb sie an. „Wir wissen noch gar nicht, wie schwer er verletzt ist. Doch egal, wie es ihm geht – sobald du wieder diese Panik spürst, musst du dich zurückziehen und mir alles überlassen. Versprichst du mir das, Viv?“
Sie sah ihm in die Augen, sah seine Verlässlichkeit und seine Stärke. Und sie sah seine Angst. Viv wusste, dass sie ihm alles anvertrauen konnte. Nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das von Sam. Sie nickte.
In diesem Augenblick hielt der Wagen an. Fast gleichzeitig sprangen sie hinaus.
Viv entdeckte ihn sofort. Ungefähr fünfzig Meter entfernt. Sam. Er lag mit dem Rücken auf einem Felsen, die Drachenschnur um seinen Fuß gewickelt. Neben ihm kauerte Ahmad. Seine schmächtigen Schultern bebten, und Tränen rannen ihm das Gesicht hinunter.
Wieder stieg Panik in ihr auf, doch Viv riss sich zusammen. Sie musste jetzt stark sein. Sam brauchte sie. Sie wollte es nicht Ghaleb allein überlassen, um ihr Kind zu kämpfen.
Sie rannte so schnell sie konnte, doch Ghaleb überholte sie. Als sie den Felsen erreichte, hatte er sich bereits über Sam gebeugt.
Als sie neben Sam auf den Boden sank, richtete Ghaleb den Blick in einer Mischung aus Sorge und Erleichterung auf sie.
„Die Blutung ist nicht so schlimm. Nur eine Platzwunde am Kopf. Sein Puls ist regelmäßig, die Atmung normal. Pupillen reagieren synchron. Alles gute Zeichen.“ Ghaleb riss die Notfalltasche auf, die Abdur-Rahman inzwischen gebracht hatte. „Wir müssen ihn nicht intubieren. Ich werde ihn jetzt gründlich untersuchen. Kümmere du dich um die Infusion.“
Mit ängstlich aufgerissenen Augen nickte sie und spürte, wie ihre Benommenheit zurückkehrte.
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