JULIA ARZTROMAN Band 26
Harry.“ Sie streckte die Hand aus. „Wir müssen noch ein paar Karten schreiben, damit du dich für deine Weihnachtsgeschenke bedankst.“
Harry wirkte nicht besonders erfreut, aber an der Tür winkte er Marco noch einmal fröhlich zu.
„Was für ein netter Junge.“ Als Amy aufsah, fing sie Marcos forschenden Blick auf.
„Ich dachte, du magst keine Kinder.“
„Das habe ich nie behauptet. Ich möchte nur keine eigenen.“ Unfähig, ihm weiterhin in die Augen zu sehen, wandte sie sich ab. Das halte ich nicht durch. Nicht vier Wochen lang. „Danke, dass du ihn dir angesehen hast. Bist du sicher, es ist alles in Ordnung?“
„Bei wem?“ Anscheinend war er mit den Gedanken woanders gewesen. Marco seufzte. „Ach so, Harry … Die neurologischen Tests haben nichts Auffälliges ergeben. Sein peripheres Nervensystem arbeitet normal. Sein Herz-Kreislauf-System auch. Ich persönlich würde ihn nicht einmal zum MRT schicken, aber wenn es Sue beruhigt, überweise ich ihn gern.“
„In sechs Wochen bin ich nicht mehr hier, doch ich werde genaue Notizen für die Vertretung hinterlassen. Danke, Marco.“
Er musterte sie düster. „War mir ein Vergnügen.“
In der Mittagspause brachte Amy keinen Bissen herunter. Am Nachmittag standen die Vorsorgeuntersuchungen an, und ihr war jetzt schon schlecht. Sollte sie sich krankmelden? Sie fühlte sich so elend, dass es nicht einmal gelogen wäre.
Aber dann hätte sie Marco am Hals. Er würde nicht lockerlassen, bis er herausgefunden hatte, was los war.
„Du bist kreidebleich“, sagte Kate, als sie ihr die Patientenkarten brachte. „Geht es dir nicht gut?“
„Doch, doch“, wich sie aus.
„Unsere Schwangeren werden dich schon aufmuntern. Sie sind gesund und fröhlich, eine schöne Abwechslung zu all den anderen schniefenden, hustenden, leidenden Patienten.“
Amys Lächeln gefror. „Ja.“
„Manchmal vermisse ich die Arbeit als Hebamme.“
„Ich hatte ganz vergessen, dass du ausgebildete Hebamme bist.“ Die Unterhaltung wurde ihr zu gefährlich. „Lass mich eben die Unterlagen durchsehen, bevor es losgeht“, meinte sie entschuldigend. „Danke, Kate.“
Sie brauchte wirklich noch ein bisschen Zeit, um sich zu wappnen.
Zwanzig Minuten später erschien die erste werdende Mutter freudestrahlend in ihrem Sprechzimmer.
Amy arbeitete wie ein Roboter, der zielgerichtet und emotionslos seine Aufgaben erledigte. Gegen vier Uhr hatte sie es fast geschafft. Durstig goss sie sich ein Glas Wasser ein und trank in tiefen Zügen. Gleich nach der Sprechstunde würde sie nach Hause gehen und sich unter der Bettdecke verkriechen!
Die Tür öffnete sich, und ihre letzte Patientin, eine Blondine Ende zwanzig, kam herein. Sie brachte ein Baby mit!
„Ich weiß, ich weiß“, begann sie lachend und nahm Platz. „Sie denken bestimmt, ich hätte mich mit der Sprechstunde vertan. Es ist nicht zu glauben, aber dieser Kleine ist erst vier Monate alt, und ich bin schon wieder schwanger! Mein Mann hält sich schon für eine Art Superhengst. Irgendwo habe ich gelesen, dass man nicht schwanger werden kann, wenn man noch stillt. Das ist ja wohl ein Märchen“, plauderte sie munter weiter. „Ich wollte mir einen Termin geben lassen, aber die Sprechstundenhilfe meinte, ich sollte gleich heute Nachmittag vorbeikommen. Und da bin ich!“
„Herzlichen Glückwunsch“, brachte Amy mit Mühe hervor. „Freuen Sie sich?“
„Und wie! Geoff und ich wollten schon immer eine große Familie haben. Wir hatten zwar nicht geplant, dass die Kinder so dicht hintereinander kommen, aber das hat doch auch Vorteile, oder?“ Der Säugling fing an zu greinen, und sie nahm ihn aus dem Tragesitz. „Oh, jetzt habe ich ihn geweckt mit meiner lauten Stimme. Willst du deine Milch, mein Süßer? Ach, das wollte ich Sie unbedingt fragen – soll ich überhaupt stillen? Ich will dem neuen Baby keine wichtigen Nährstoffe wegnehmen.“
Amy sah zu, wie die junge Frau ihren Pullover hochschob und den Kleinen geschickt anlegte. Das Mündchen schloss sich um die Brustspitze, die Lider flatterten zu, und dann begann das Baby gierig und mit verzückter Miene zu saugen.
„Ist Ihnen nicht gut, Frau Doktor?“ Fragend blickte die Patientin sie an. „Sie sind ganz blass.“
„Doch, alles okay“, antwortete sie tonlos.
„Sie sind mit Dr. Avanti verheiratet, nicht? Sie Glückliche. Das ist auch ein Mann, mit dem man Kinder haben möchte.“
Der Schmerz war überwältigend. Amy blieb für einen Moment die
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