Julia Bestseller Band 146
merkte, wie verbittert sie war.
„Sag mal, Nicky, ist dir aufgefallen, dass ich gar keine Schuhe trage? Ich bin so schnell zu dir gerannt, dass ich gar keine Zeit hatte, sie anzuziehen“, sagte sie lächelnd.
Der Kleine betrachtete ihre Füße und sah dann seiner Mutter in die Augen. Freya schnitt ein Gesicht, und Nicky schenkte ihr ein wundervolles Lächeln, bei dem seine weißen Zähnchen wie Perlen schimmerten.
„Du findest es wohl sehr lustig, dass ich auf Strümpfen hierher geschlittert bin, um dich in den Arm zu nehmen.“ Behutsam küsste sie den kleinen blauen Fleck auf Nickys Wange.
„Ist er verletzt?“, fragte Enrico in diesem Moment ernst, und sein italienischer Akzent war ausgeprägter denn je. „Braucht er einen Arzt?“
Freya sah Enrico so an, dass er sich wünschte, am anderen Ende der Welt zu sein. Sie schüttelte verneinend den Kopf, bevor sie sich betont fröhlich Nicky zuwandte. „Ist ja nur ein Kratzer, oder, junger Mann? Brauchen wir da wirklich einen Krankenwagen mit heulender Sirene und die Feuerwehr, damit die uns den Weg frei machen?“
„Nein, Mummy.“ Er lachte vergnügt, und sein Schmerz schien schon vergessen zu sein.
Dann hob Nicky den Kopf und begegnete Enricos verschlossenem Blick. Freya sah besorgt zu, wie wachsam und abwartend der eben noch so fröhliche Kleine wurde.
So wird das nichts, dachte sie. Ihre Gefühle für Enrico waren eine Sache, aber die Beziehung zwischen Vater und Sohn durfte dadurch keinesfalls beeinflusst werden. Also schob sie Nicky von ihrem Schoß, stand auf, stellte sich schützend hinter ihn und sah Enrico an.
Dann atmete sie tief durch und sagte: „Nicky, mein Schatz, ich möchte dir …“ Zu spät! Ihr Timing hatte schon den ganzen Tag lang nicht gestimmt. Hilflos beobachtete sie, wie Vater und Sohn einander musterten. Enrico hatte wieder diesen besitzergreifenden Blick, der sie schon im Foyer gestört hatte.
Das ist mein Sohn, dachte Enrico. Wie konnte ich nur so dumm sein zu glauben, er könnte Lucas Sprössling sein?
Nicky hatte seine dunklen Augen, mit denen er ihn jetzt ansah, dass es ihm fast das Herz brach. Enrico fühlte sich völlig hilflos. Er hatte keine Ahnung, was er jetzt tun sollte. Auf so ein herzzerreißendes Gefühl war er nicht vorbereitet gewesen.
Also stand er einfach nur da und ließ sich von seiner Miniaturausgabe von Kopf bis Fuß mustern. Ich wirke bestimmt Furcht einflößend, dachte Enrico und war sich bewusst, dass er eine freundliche Geste machen sollte, um die spannungsgeladene Situation zu entschärfen. Aber wie? Und dann vor all diesen Menschen …
Wahrscheinlich dachten sie, er wäre nicht besonders kinderlieb. Er brachte ja nicht einmal ein Lächeln zustande.
Als Freya Nickys Schultern umfasste, wusste Enrico, dass er den Zeitpunkt verpasst hatte. Gleich würde sie mit dem Jungen fortgehen, wenn er, Enrico, nicht bald etwas tat.
Er ging in die Hocke. Das Herz klopfte ihm zum Zerspringen. „Ciao“ , brachte er rau hervor und wunderte sich, wieso er italienisch sprach.
Es kam jedoch keine Antwort. Enrico war völlig verunsichert. Schließlich hob er eine Hand und öffnete sie.
Der Junge erblickte den roten Spielzeug-Ferrari, dann sah er Enrico in die Augen. „Ist das meiner?“, fragte er.
Enrico nickte. Wieder fiel ihm die Antwort nur auf Italienisch ein. Was war nur mit ihm los?
Gebannt beobachteten Kinder und Erwachsene die Szene. In diesem Moment wäre man in dem sonst von Kinderlärm erfüllten Zimmer in der Lage gewesen, eine Stecknadel fallen zu hören.
Der Kleine nahm ihm den Ferrari ab und lächelte.
Es war sein, Enricos Lächeln. Ihm war, als blickte er in sein Spiegelbild … Instinktiv strich er dem Jungen über die dunklen Locken und meinte, sein eigenes Haar zu spüren. Behutsam berührte er den kleinen blauen Fleck auf der Wange. Und dann umfasste er Nickys Schultern, zog den Jungen an sich. Küsste vorsichtig die Verletzung und dann den herzförmigen Mund.
Es war der Kuss eines Vaters. Enricos Herz zog sich zusammen. So begrüßte ein italienischer Vater seinen Sohn. Er bemerkte, wie Freya, die sie beobachtete, mit den Tränen kämpfte. Wie, so fragte sie sich, würde ihr Sohn darauf reagieren, von einem Fremden geküsst zu werden?
Wir sind uns gar nicht fremd, dachte Enrico. Selbst der Zweijährige, der zwar etwas erstaunt war, so unvermittelt geküsst zu werden, spürte offenbar das unsichtbare Band zwischen Vater und Sohn.
Jetzt ließ Nicky zögernd eine Hand durch
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