JULIA COLLECTION Band 07
sich aus seiner Umarmung zu befreien, doch Gabe ließ sie nicht los.
„Hör auf, dich zu wehren, Liebes. Ich werde dich nicht loslassen.“ Wahrscheinlich nie mehr. Nach ein paar Sekunden versteifte sie sich. Gabe spürte ihren Schmerz und ihren Kummer. Doch er wollte, dass sie es hinter sich lassen konnte, und dazu sah er keine andere Möglichkeit, als nicht nachzugeben. Er drückte ihren Kopf an seine Schulter. „Deshalb willst du unbedingt diesen Unsinn über Heldenmut verstehen, stimmt’s?“
Sie schluchzte erneut. „Du … du kannst das nicht verstehen. Du bist nicht so wie ich. Du hast die Möglichkeit gesehen, zu helfen, und hast entsprechend gehandelt. Ich aber … ich habe meine Mutter sterben lassen.“ Sie krallte die Finger in seine Schulter und grub die Nägel in seine Haut. Doch Gabe hätte gern jeden Schmerz erduldet, um ihr zu helfen. „Oh, Gott, ich habe sie sterben lassen!“
Gabe schmiegte das Gesicht an ihren Nacken und wiegte sie, während sie weitersprach.
„Wir hatten einen Autounfall … ich suchte gerade einen anderen Sender im Radio, in der Hoffnung, einen Song zu finden, bei dem Mom und ich mitsingen konnten. Das taten wir die ganze Zeit. Wir alberten herum und hatten unseren Spaß. Es regnete und war dunkel. Mom sagte, ich solle das Radio ausschalten, und das wollte ich gerade, als der Wagen ins Rutschen kam.“
In ihrer Stimme schwang noch immer das Entsetzen mit, und sie klang, als sei sie weit weg in der Erinnerung. Gabe fragte sich, wie oft und wie vielen Leuten gegenüber sie schon dieses Schuldeingeständnis gemacht hatte. Die Vorstellung, wie sie als Zwölfjährige, linkisch und scheu, erlitten hatte, was kein Kind erleiden sollte, zerriss ihm fast das Herz.
„Der Wagen kam von der Straße ab und prallte gegen einen Baum. Moms Tür war zerdrückt, die Windschutzscheibe zersplittert. Sie blutete. Ich dachte, sie sei tot, und schrie und schrie. Ich kletterte aus dem Wagen und kroch benommen durch den Matsch. Zu benommen und zu dumm, um zu tun, was ich hätte tun sollen.“
„Oh, Lizzy.“ Gabe küsste sie auf die Schläfe und flüsterte tröstende Worte. Doch sie schien ihn gar nicht zu hören.
„Das nächste Telefon war nur zwei Meilen weit entfernt. Wenn ich versucht hätte, Hilfe zu holen … sie hätte überlebt, wenn ich nicht starr vor Schreck gewesen wäre, wenn ich nicht nur geweint und auf Hilfe gewartet hätte, obwohl ich selbst doch kaum verletzt war.“ Sie ballte die Faust und schlug gegen seine Schulter. „Sie war in diesem Wagen eingeklemmt und bewusstlos, und sie verblutete. Ich habe sie sterben lassen.“ Erneut brach sie in Tränen aus, die seinen Hals benetzten. „Als endlich ein Wagen kam und uns fand, war es zu spät.“
Gabe hielt sie weiter fest an sich gedrückt und schaltete die Nachttischlampe ein. Elizabeth zuckte geblendet zurück. Ihr verweintes Gesicht schmerzte ihn. Trotzdem umfasste er ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. „Du warst damals gerade mal zwölf Jahre alt! Du warst noch ein Kind. Wie zur Hölle kannst du die Taten eines Kindes mit denen eines erwachsenen Mannes vergleichen?“
Seine Aufgebrachtheit verblüffte sie. „Ich habe versagt.“
„Du hattest einen Schock!“
„Wenn ich nur reagiert hätte …“
„Nein, Lizzy. Es gibt kein Zurück. Niemand kann die Zeit zurückdrehen. Wir können nur das Beste aus jedem neuen Tag machen. Du bist so eine intelligente Frau. Wieso begreifst du nicht, dass du damals noch ein Kind warst?“
„Du … du hast gesagt, du hättest die Artikel gelesen.“
„Und ich weiß auch, wie die Medien Dinge verdrehen können, um die beste Geschichte zu bekommen. Ein Toter an sich bedeutet ihnen wenig, denn jeden Tag sterben Leute und manche unter entsetzlicheren Umständen als andere. Aber ein vom Tod der Mutter traumatisiertes Mädchen, nun, das ist für die Zeitungsleser interessant. Du warst selbst ein Opfer. Sie haben dich für ihre Schlagzeilen benutzt. Das ist alles.“
„Ich habe sie sterben lassen“, sagte sie, doch sie klang bereits weniger überzeugt. Fast war es, als wollte sie ihm verzweifelt glauben.
„Nein.“ Gabe drückte sie an sich und küsste sie. „Das weißt du doch gar nicht. Es war dunkel, und es regnete. Und selbst wenn du trotz des durch den Anblick deiner schwer verletzten Mutter ausgelösten Schocks in der Lage gewesen wärst, zum nächstgelegenen Telefon zu rennen, gibt es keine Garantie, dass du wirklich rechtzeitig hättest Hilfe herbeirufen
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