JULIA COLLECTION Band 12
ansehen zu können. „Was machen Sie überhaupt ganz allein hier?“
„Ich könnte Sie das Gleiche fragen“, konterte sie. „Dies ist Privatbesitz.“ Als sie bemerkte, wohin er blickte, legte sie eine Hand auf den Ausschnitt ihres Hemdes und fragte sich, ob er eben wohl hatte hineinsehen können.
„Privatbesitz, ja?“ Er grinste unverschämt. „Betreten verboten?“ Er strich mit einem Finger über ihre Wange.
„Genau das“, antwortete sie hochmütig.
„Wie heißen Sie denn?“
„Und wie heißen Sie?“, erkundigte sie sich.
„Dylan Janos. Zu Ihren Diensten, Ma’am.“ Er berührte wieder seinen Hut.
„Nun, Mr. Janos, Sie können mich jetzt loslassen. Ich will nach meiner Stute sehen. Etwas hat sie dazu gebracht, wie wild davonzurasen …“
„Vielleicht hat sie eine Schlange gesehen“, meinte er.
„Wild Thing ist zu gut ausgebildet, um sich von einer Schlange irritieren zu lassen, es sei denn, sie wäre fast draufgetreten, und das ist sie nicht.“
„Wild Thing?“, wiederholte Dylan. „Wie kommen Sie bloß auf die Idee, ein Pferd zu reiten, das so heißt? Sie wären besser bei einem netten Gaul aufgehoben, der einen Namen wie Muffin hat.“
„Sie gehört mir, und ich habe sie Wild Thing genannt“, erklärte Abigail.
„Sie haben mir immer noch nicht Ihren eigenen Namen verraten“, erinnerte er sie.
„Das ist richtig. Und ich habe auch nicht die Absicht, das zu tun.“
„Das klingt nicht gerade sehr freundlich.“
„Sie haben es erkannt“, erwiderte Abigail.
„Wissen Sie, eine Zigeunerlegende besagt, wenn man einem Menschen das Leben rettet, schuldet einem derjenige eine Menge. Es ist fast so, als würde er einem gehören.“
„Ach ja? Und eine Westernlegende besagt, wenn jemand unbefugt das Land eines anderen betritt, dann hat der Besitzer das Recht …“
„Mich zu erschießen?“, erkundigte Dylan sich trocken. „Ich glaube, das bezieht sich bloß auf Pferdediebe, nicht auf unbefugtes Betreten.“
Sie ignorierte das. „Im Westen ist es auch so, dass ein Cowboy, der die Notlage einer Frau ausnutzt …“
„Ich habe gar nichts ausgenutzt. Noch nicht“, unterbrach er sie grinsend. „Ein Gentleman hätte mich schon vor fünf Minuten losgelassen.“
„Ich habe nie behauptet, ich wäre einer.“
„Das merke ich!“ Abigail drehte sich plötzlich so, dass sie aus dem Sattel und Dylans Händen rutschte, und landete hart auf dem Boden.
Dylan stieg gleich darauf ebenfalls ab. Dabei bemerkte Abigail, dass er etwas steif war und sich das rechte Bein rieb. Außerdem fiel ihr auf, wie eng seine Jeans diese männlichen Schenkel umschlossen. Doch sie schob den Gedanken gleich wieder weg. Jedenfalls versuchte sie es.
Aber es fiel ihr schwer. Dieser Mann war groß und wirkte durch und durch männlich. Erst als er näher trat, sah sie, dass er leicht hinkte.
„Haben Sie sich verletzt?“, fragte sie besorgt.
„Das könnte man so ausdrücken“, erwiderte er düster und dachte an das Rodeo, bei dem er den Unfall gehabt hatte, der ihn gezwungen hatte, die Wettbewerbe völlig aufzugeben. Die Ärzte hatten gesagt, er hätte Glück gehabt, dass er sein Bein überhaupt noch bewegen und reiten konnte. Aber er würde es nie wieder so wie früher können. Die Gürtelschnalle, die er gewonnen hatte und auch jetzt trug, war ein Beweis dafür, dass er einmal ein Champion gewesen war. Doch seine Fähigkeiten waren verloren gegangen, als er sich das rechte Bein gebrochen hatte. Nein, er hatte zurzeit nicht gerade eine Glückssträhne.
„Gibt es etwas, das ich für Sie tun kann?“, fragte Abigail.
„Ja, Sie können mir Ihren Namen verraten. Und was Sie hier überhaupt zu suchen haben. Dies ist Pete Turners Ranch.“
„Das stimmt.“
„Und da ich weiß, dass Pete etwas gegen Besucher hat, dürften Sie wohl diejenige sein, die sein Land unbefugt betreten hat, nicht ich.“
„Wie kommen Sie denn darauf?“
„Wie ich schon sagte, Pete mag keine Besucher. Er und ich kennen uns schon lange.“
„Wirklich? Haben Sie in letzter Zeit mit ihm gesprochen?“
„Vor einigen Monaten. Im März, denke ich. Vielleicht war es auch schon im Februar.“
Abigail wusste Bescheid über das Zeitgefühl von Cowboys. Sie hatten keins, genauso wenig wie sie mit Geld und Frauen umgehen konnten. Inzwischen war Juli.
Trotzdem, wenn Dylan ein Freund ihres Onkels gewesen war, dann wollte sie ihm die Nachricht von dessen Tod so schonend wie möglich beibringen. Während sie noch nach den
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