JULIA COLLECTION Band 12
passenden Worten suchte, fragte er ungeduldig: „Wer sind Sie?“
„Ich bin Petes Nichte.“
„Bestimmt nicht! Seine Nichte ist eine prüde Bibliothekarin in der Großstadt.“
Abigail biss die Zähne zusammen. Sie wusste ja, dass beide Berufe, die sie sich ausgesucht hatte, bei den Leuten viele Vorurteile weckten. „Ich bin Bibliothekarin. Zumindest war ich es bis vor ein paar Wochen.“
Dylan musterte sie von Kopf bis Fuß, als hätte er den Verdacht, dass sie log. „Sie sehen keiner Bibliothekarin ähnlich, die ich je getroffen habe“, meinte er.
„Wirklich? Und wann waren Sie das letzte Mal in einer Bibliothek?“, erwiderte sie in zuckersüßem Ton.
Dylan hatte die Krankenhausbücherei oft besucht, solange er dort gewesen war, aber das wollte er dieser Frau nicht erzählen. Er wollte sich lieber mit ihr beschäftigen. Was für eine Art von Bibliothekarin war das, die ein Pferd mit dem Namen Wild Thing ritt? Eine, die ich näher kennenlernen möchte, dachte er.
Sie hatte lange Beine, hübsche Kurven und wundervolles lockiges Haar. Vorhin war es ihm ins Gesicht geweht, und es kam ihm vor, als schlänge sich ein seidenes Lasso um sein Herz. Außerdem duftete es nach Maiglöckchen, und das waren seine Lieblingsblumen.
Als er merkte, dass er auf den Mund dieser Frau gestarrt hatte, ohne ein einziges Wort zu hören, das sie gesagt hatte, murmelte er: „Was?“
„Vergessen Sie’s.“ Sie ignorierte ihn und begann nun, Wild Thing zu untersuchen. Sogar ins Maul blickte sie dem Pferd, um festzustellen, ob etwas nicht in Ordnung war. Zuerst fand sie nichts. Die Stute war glücklicherweise nicht verletzt. Sie zitterte immer noch leicht, hatte aber keine Schwellungen oder Wunden. Dann nahm Abigail den Sattel ab und entdeckte, was sie gesucht hatte. „Ich wusste es!“, rief sie. „Ich bin reingelegt worden!“
2. KAPITEL
„Wovon reden Sie?“, fragte Dylan.
„Ich wusste, dass Wild Thing nicht ohne Grund durchgeht. Sehen Sie sich das an!“ Sie zeigte ihm die Kletten, die an der Satteldecke hafteten. Und natürlich hatte das Pferd entsprechende Abdrücke an den Seiten, obwohl diese schwer zu erkennen waren in dem mahagonifarbenen Fell. „Du armes Baby“, sagte Abigail sanft, und Dylan wünschte sich, sie würde so mit ihm sprechen statt mit der Stute.
„Haben Sie das Sattelzeug nicht überprüft, bevor Sie aufgebrochen sind?“, wollte er wissen.
„Natürlich. Da waren die Kletten noch nicht an der Decke. Es kann eine Weile gedauert haben, bis sie Wild Thing wirklich wehgetan haben, aber dann ist sie durchgegangen. Und die Kletten können unmöglich zufällig da hingekommen sein. Jemand muss sie absichtlich druntergesteckt haben.“
„Haben Sie das Pferd unbeaufsichtigt gelassen, als es schon gesattelt war?“
„Nur ganz kurz. Mein Handy hat geklingelt …“
Dylan rollte mit den Augen.
„Es war meine Lektorin aus New York“, fuhr Abigail fort. „Aber ich war höchstens fünf Minuten weg.“
„Lange genug, dass jemand sich an der Decke zu schaffen gemacht haben kann.“ Dylan streichelte der Stute die Nüstern.
„Wild Thing mag es nicht, wenn Fremde sie berühren“, warnte Abigail ihn.
„Da ist sie ganz wie ihre Besitzerin, was?“ Dylan fuhr fort, das nervöse Pferd zu streicheln, und es gelang ihm, es zu beruhigen. Dieses verräterische Tier freute sich offenbar über die Aufmerksamkeit.
Abigail erschauerte, als sie sich erinnerte, wie Dylan mit derselben Hand ihre Wange berührt hatte. Seine Fingerspitzen waren rau. Sie brauchte sich seine Handflächen gar nicht anzusehen, um zu wissen, dass sie voller Schwielen waren. Dies war kein Großstadtcowboy, sondern ein echter.
„Was glauben Sie, warum jemand wollte, dass Sie abgeworfen werden?“, erkundigte er sich nun.
„Ich weiß nicht. Vielleicht weil ich mich weigere, die Ranch an Hoss Redkins zu verkaufen, dem in dieser Gegend das meiste gehört.“
„Wie bitte?“ Dylan verzog das Gesicht. „Sie mögen ja Petes Nichte sein, aber es ist immer noch seine Ranch, und er würde auf keinen Fall an einen aufgeblasenen Kerl wie Redkins verkaufen.“
Abigail biss sich auf die Lippe, als ihr klar wurde, dass sie Dylan noch immer nicht vom Tod ihres Onkels erzählt hatte. „Er ist vor zwei Monaten gestorben“, sagte sie nun leise. „Sein Anwalt hat mich angerufen und mir gesagt, dass ich die Ranch geerbt habe.“
„Ich dachte, Pete hätte nichts mehr von seiner Familie wissen wollen, seit die ihre eigene Ranch an Hoss
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