JULIA COLLECTION Band 12
im Einkaufswagen stehen lassen. Außerdem hatte niemand im Haus einen Besucher mit einem Kind. Danach habe ich mich erkundigt. Und an der Decke war ein Zettel angeheftet, auf dem stand: ‚Bitte kümmern Sie sich um mein Baby.‘“
„Jemand hat es ausgesetzt? Dann müssen wir die Polizei verständigen.“
„Nein!“
„Warum nicht? Hast du es schon getan?“
„Nein“, sagte sie noch mal, diesmal ruhiger. Dann zog sie sanft den T-Shirt-Zipfel aus dem Mund des Babys. „Schau, ich weiß, was die Behörden mit ihr tun würden. Ich habe es selbst erlebt. Sie würde zu Pflegeeltern kommen und zu einem Teil der Statistik werden. Sie ist doch noch ein Baby!“
„Eine Menge Leute wünschen sich eins.“
Ich auch!, hätte Brenda am liebsten gerufen.
Michael bemerkte ihren sehnsuchtsvollen Blick. „Aha. Deine biologische Uhr tickt, was?“ Daraufhin nahm ihr Gesicht so einen gequälten Ausdruck an, dass er sofort wusste, dass er etwas Falsches gesagt hatte. Dabei war Brenda eigentlich gar nicht der empfindliche Typ. Hier war offenbar etwas ganz und gar nicht in Ordnung. „Was ist los? Komm, sprich mit mir.“
Brenda hielt dem Baby einen Finger hin. „Ich habe keine biologische Uhr“, antwortete sie so leise, dass Michael sich vorbeugen musste, um sie verstehen zu können. „Vor ein paar Jahren hatte ich eine Notoperation. Ich kann keine Kinder mehr bekommen.“
„Das wusste ich nicht. Es tut mir leid.“
„Ja, mir auch. Zu der Zeit war ich verlobt. Bill hat sich wunderbar verhalten, hat mich im Krankenhaus besucht, und ich konnte mich sogar danach in seiner Wohnung erholen. Aber ich merkte, dass die Dinge sich geändert hatten. Er wünschte sich Kinder. Deshalb wollte er heiraten. Jeder Mann will deshalb heiraten. Um Kinder zu kriegen.“ Sogar nach zwei Jahren hörte Brenda noch Bills Worte: „Ich kann dich nicht heiraten, Brenda. Ich brauche eine Frau, die eine richtige Ehefrau sein kann. Du weißt, was das heißt. Ich will Kinder. Jeder Mann wünscht sich welche.“
Sie hatte Michael oft genug auf Ungarisch fluchen gehört, dass sie nun verstand, was er meinte. „So ein Blödsinn“, sagte er zum Schluss noch auf Englisch.
„Pass auf, wie du vor dem Kind sprichst.“ Sie nahm ihm das Baby ab, musste es aber Sekunden später zurückgeben, weil es protestierte. Brenda verstand das. Sie wusste aus eigener Erfahrung, wie unglaublich schön es war, in Michaels Armen zu liegen, und wie schwer es war, sich von ihm zu lösen.
„Das ist wirklich seltsam“, meinte er. „Ich konnte noch nie mit Kindern umgehen. Wann immer ich in die Nähe eines Babys komme, brüllt es. Nicht, dass das oft passiert. Ich habe keine Neffen oder Nichten. Meine Geschwister sind noch nicht mal verheiratet. Aber lass uns noch mal auf diesen Bastard kommen, der dich verlassen hat.“
„Er war kein schlechter Mensch. Nach der Operation hat er sich gut um mich gekümmert.“
„Und danach hat er dich fallenlassen und dir das Herz gebrochen.“
„Jetzt überdramatisierst du aber.“
„Das ist mein Roma-Blut.“
Sie lächelte.
„So ist es besser. Nun sag mir, was wir mit diesem Baby tun sollen.“
„Wenn du dich mit ihr auf die Couch setzt, schläft sie vielleicht ein“, schlug Brenda vor.
„Klingt gut. Hast du denn eine Couch? Ich habe keine gesehen, als du eingezogen bist.“
„Tatsächlich ist es eine Schlafcouch.“ Sie deutete auf eine Liege mit blauen Kissen darauf. Auf dem Weg dorthin bemerkte Michael die Babysachen auf dem zerkratzten Tisch.
„Was du da in Erwägung ziehst, ist verrückt, weißt du das?“
„Was ziehe ich denn in Erwägung?“
„Das Baby zu behalten.“
„Die Mutter hat mich gebeten, mich um das Kind zu kümmern.“
„Für wie lange? Und was ist, wenn sie zurückkommt?“
„Dann gebe ich ihr natürlich das Baby zurück. Vorausgesetzt, sie kann anständig für ihre Tochter sorgen.“
„Was für eine Art von Mutter lässt denn ihr Kind im Stich?“
„Eine, die weiß, dass sie sich nicht darum kümmern kann.“
„Warum hat sie es dann nicht zu einer Adoptionsagentur oder in ein Waisenhaus gebracht?“
„Weil das vielleicht zu hart gewesen wäre. Vermutlich musste sie auch schnell handeln.“
„Und weshalb hat sie dieses Haus ausgesucht?“
„Darüber habe ich auch schon nachgedacht.“
„Und was ist dir eingefallen?“
„Dass sie mich womöglich kennt. Ich arbeite im Jugendzentrum mit vielen Teenagern. Sie wissen, dass ich ein Pflegekind war und dass sie sich auf
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