JULIA COLLECTION Band 12
war“, erklärte eine ältere Kellnerin, die gerade vorbeikam.
„Und so lange läuft die Wette auch schon“, fügte ein Mann am nächsten Tisch hinzu.
„Man muss lernen, sich in Geduld zu fassen, wenn man in Lonesome Gap lebt“, meinte sein Tischgenosse. Beide Männer sahen uralt aus.
„Machen Sie hier Urlaub?“, erkundigte sich Darlene bei Gaylynn. Sie redete offenbar gern.
„Etwas in der Art.“
„Wo wollen Sie denn hin?“
„Tatsächlich wohne ich direkt hier in Lonesome Gap. Mein Bruder hat eine Hütte, die nicht weit von Hunters entfernt ist.“
„Sind Sie eine Freundin von Hunter?“, fragte der Mann am anderen Tisch.
„Wir kennen uns schon sehr lange“, antwortete Gaylynn. „Wir sind praktisch zusammen aufgewachsen.“
„Da laust mich doch der Affe!“, sagte der Mann. „Sie sind aber nicht aus dieser Gegend, oder?“
„Ich komme aus Chicago.“
„Jetzt erinnere ich mich. Hunters Eltern haben mal eine Weile im Norden gelebt. Dann wurde es ihnen zu kalt, und schließlich sind sie nach Florida gezogen.“
„Hat Sie schon jemand eingeladen, bei der Wette mitzumachen?“, wollte der andere Mann an dem Tisch wissen.
„Was ist das für eine Wette?“
„Es geht darum, wann die alte Scheune zusammenfallen wird. Deshalb reißt sie auch keiner ab. Es ist ein netter Zeitvertreib für uns.“
„In dieser Stadt scheint die Zeit völlig stillzustehen“, beschwerte sich ein jüngerer Mann, der am Tresen saß.
„Hör auf zu meckern, Boone Twitty“, ermahnte ihn Darlene.
Gaylynn blickte zu ihm hinüber und entdeckte tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit seinen Großeltern. Boone hatte die gleichen hellblauen Augen, aber noch keine Fältchen.
„Diese Stadt ist so klein, dass gleich auf beiden Seiten desselben Schildes ‚Willkommen in Lonesome Gap‘ steht“, erklärte er.
„Immerhin haben wir ein Willkommensschild“, erwiderte Darlene.
„Nur weil der Frauenverein es mal gemalt hat.“
„Das ist nicht alles, was der Frauenverein tut“, mischte sich eine Frau ein, die an einem Ecktisch saß. Ihr silbergraues Haar hatte einen feinen Blaustich, und sie sprach mit einem ausgeprägten Südstaatenakzent. „Wir fertigen zum Beispiel auch gemeinsam Patchworkdecken an. Wie die mit dem Bärenmuster, die da drüben an der Wand hängt. Und wir machen noch eine Menge anderes. Übrigens heiße ich Gladys Battle, aber hier nennen mich alle Ma Battle.“ Sie schenkte Gaylynn ein strahlendes Lächeln.
„Eines Tages wird sie eine Million Dollar in einem dieser Preisausschreiben gewinnen, nicht wahr, Ma Battle?“, neckte Boone sie.
„Verdammt richtig. Jetzt hör auf, uns zu unterbrechen, damit das arme Mädchen sich vorstellen kann.“
„Ich bin Gaylynn Janos.“
„Sagen Sie, Sie sind die Lehrerin, oder?“, fragte einer der alten Männer am Nebentisch plötzlich.
„Ich war in Chicago Lehrerin, ja. Wieso?“
Bevor der Mann antworten konnte, ging die Tür auf, und Hunter kam herein und schätzte die Situation ein. „Was habt ihr Gaylynn erzählt?“, wollte er wissen.
„Wir haben gar nichts davon erwähnt, dass die Bücherei inzwischen schon seit fünf Jahren geschlossen ist und die Kinder nirgendwohin gehen können, weil an der Schule derartig gespart werden muss und die Bibliothek dort so klein ist, ganz zu schweigen davon, dass sie meilenweit entfernt ist.“ Darlene ließ ihren Kaugummi knallen.
„Jetzt hast du es ihr gerade gesagt.“ Hunter schnitt eine Grimasse.
„Habe ich nicht“, leugnete die Kellnerin.
„Hast du doch.“
„Ich habe es dir gesagt, Hunter“, behauptete Darlene. „Es ist nicht meine Schuld, wenn sie es auch gehört hat.“ „Warum ist die Bücherei seit fünf Jahren geschlossen?“, fragte Gaylynn. „Weil unsere letzte Bibliothekarin mit einem Nichtsnutz davongelaufen ist“, berichtete einer der Männer am Nebentisch.
„Das ist nicht wahr!“, protestierte Darlene. „Du bist bloß eifersüchtig, weil sie nicht mit dir ausgehen wollte, Orville. Die Wahrheit sieht so aus, dass Miss Russell sich zur Ruhe gesetzt hat. Die Frau war siebzig Jahre alt.“
„Das ändert nichts an der Tatsache, dass sie mit diesem Karaoke-Sänger durchgebrannt ist, der in Summerville aufgetreten ist.“
„Konnten Sie denn nicht jemand anders für diesen Job einstellen?“, wollte Gaylynn wissen.
„Tatsächlich haben wir Miss Russell auch nie eingestellt“, erwiderte Darlene.
„Sie hat umsonst gearbeitet“, ergänzte Boone.
„Nur weil ihre Tante mit
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