JULIA COLLECTION Band 14
davon ausgegangen, dass sie sexy, aber strohdumm war.
Warum aber hatte sie ihr künstlerisches Talent und ihr Interesse an Geographie gerade vor ihm verborgen? Die Antwort lag auf der Hand. Weil gerade er, Willis Random, ihr immer das Gefühl gegeben hatte, sie könne nichts und sei nichts wert. Ihm wurde das Herz schwer, als er begriff, was das bedeutete.
Es war seine Schuld, dass Rosemary nicht den Mut gehabt hatte, ihre Möglichkeiten auszuschöpfen. Es war seine Schuld, dass sie nicht versucht hatte, ihre Träume wahr werden zu lassen, dass sie ihre Fähigkeiten und Talente nicht entwickelt hatte.
Weil er wusste, dass sie ihn nicht mochte, hatte er sie verletzen wollen, und seine Worte hatten sie so tief getroffen, dass sie sich nie davon erholt hatte. So hatte sie sich nie getraut, ihre eigenen Möglichkeiten auszuloten. Bis zum heutigen Tage.
Willis fühlte sich elend, als ihm klar wurde, was er da angerichtet hatte. Und schlimmer noch, seine schlechte Meinung war keineswegs gerechtfertigt gewesen. Denn sie war keine schöne Hülle ohne Inhalt. Im Gegenteil, sie hatte viele Talente und Fähigkeiten und eine ausgeprägte Persönlichkeit und hätte vielen Menschen etwas geben können.
Wenn sie Kinderbücher geschrieben und illustriert hätte, und selbst mit seiner geringen Kenntnis vom Kinderbuchmarkt war er überzeugt, dass sie Erfolg gehabt hätte, hätte sie für eine ganze Generation von Kindern sehr wichtig werden können. Sie hätte deren Fantasie anregen und ihnen die Augen öffnen können für die Schönheiten der Welt. Und diese Kinder hätten das wieder an ihre Kinder weitergeben können.
So hätte Rosemary March die Möglichkeit gehabt, weit mehr in der Welt zu bewegen als er, Willis Random, der sich seit Jahren mit dem Kommen und Gehen eines Kometen beschäftigte. Willis seufzte tief.
Er schlug die Hände vors Gesicht. Schlimmer konnte es nicht kommen. Wie hatte er Rosemary nur so schlecht behandeln können!
Sein Blick fiel auf den Karton, in den sie das Skizzenbuch geworfen hatte. Da war noch ein rotes Notizbuch, was ihm vorher nicht aufgefallen war. Ganz automatisch griff er danach und blätterte es durch. Wieder fielen ihm die erstaunlich guten Zeichnungen auf, die das Geschriebene immer wieder unterbrachen. Diesmal waren die Texte immer jeweils mit einem Datum versehen.
Zuerst meinte er, wieder eine ihrer Geschichten für Kinder vor sich zu haben, doch dann wurde ihm schlagartig klar, dass es sich hier um eine Art Tagebuch handelte, dem sie alles anvertraut hatte, was sie beschäftigte, ihre Beobachtungen, ihre Gedanken, ihre Träume und Wünsche. Willis wusste, dass er das Buch sofort aus der Hand legen sollte, aber er musste einfach weiterlesen.
23.10. Die Schule war heute schrecklich. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte. Wenn W. doch wüsste, wie sehr ich ihn mag. Wie gern würde ich es ihm sagen. Jeden Tag sehe ich ihn in der Schule, und ich kann selbst kaum glauben, dass ich so viel für ihn empfinde. Wenn das jemals jemand herausbekäme, besonders W., würde ich das nicht überleben.
Toll, dachte Willis. Immer noch Chuck Woods, der Quarterback. Er las weiter in der geheimen Hoffnung, auch er würde irgendwann in diesem Tagebuch mal erwähnt, obwohl das sehr unwahrscheinlich war.
20.12. Weihnachtsferien, endlich. Ich halte es nicht mehr in der Schule aus, brauche unbedingt jetzt Zeit für mich. W. weiß immer noch nicht, was ich für ihn empfinde. Manch mal bin ich kurz davor einfach zu schreien: „Ich liebe dich!“
Irgendetwas stimmte hier nicht. Im Dezember wurde Basketball gespielt, und während der Basketball-Saison war Rosemary mit Leo McCauley von der Schulmannschaft ausgegangen. Warum ging es hier weiterhin um W.? War sie immer noch in Woody verknallt gewesen, oder fing sie schon an, sich für Walt zu interessieren? Willis las weiter:
Aber es wäre total blöd von mir, wenn ich ihm sagen würde, dass ich ihn liebe. Er würde sich nie in mich verlieben, in eine hirnlose Gans. Denn das bin ich für ihn, das macht er ja bei jeder Gelegenheit deutlich.
Willis stockte der Atem. Das konnte doch nicht wahr sein! Immer wieder las er den Absatz. W. wie Willis, war das möglich? Hastig blätterte er ein paar Seiten weiter.
Im Chemieunterricht haben wir heute Seife gemacht, zu mindest versuchten wir es. W. wusste natürlich, was zu tun war, aber ich Trottel habe alles verdorben. Mrs. Dumont gab uns eine Vier, und W. war auf achtzig und meinte, dass er nie die
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