JULIA COLLECTION Band 14
Willis war ganz anders.
Er war sehr groß, sicher zehn Zentimeter größer als sie, und sie war auch nicht gerade klein. Seine Haut war tief gebräunt, und feine Linien umspielten Augen und Mund. Was für ein Mund! Ihr war noch nie aufgefallen, was für einen guten Gesichtsschnitt Willis hatte. Und der dezente Duft, der ihn umgab, ließ sie an Wald, Gewitter und Abenteuer denken.
„Willis?“, fragte sie schließlich, und ihre Stimme klang hoch und unsicher,
„Ja, ich bin wieder da“, sagte er mit einem breiten Lächeln, aber seine Augen blickten ernst. „Hast du dich nicht ganz fürchterlich nach mir gesehnt?“
Auch seine Stimme klang ganz anders, tiefer und rauer, als sie sie in Erinnerung hatte, und erst allmählich begriff Rosemary, dass sie nicht träumte.
„Rosemary“, fragte er, „ist etwas?“
Sie schüttelte nur heftig den Kopf.
Willis verzog die Lippen in der leicht verächtlichen Art und Weise, die sie nur zu gut kannte. „Ich sehe, du bist immer noch so geistreich und redegewandt wie früher.“
Das reichte. Sie funkelte ihn wütend an. Er wollte also Krieg, den konnte er haben. Willis mochte sich äußerlich verändert haben, aber im Inneren war er immer noch der kleine Giftzwerg, der sie fertigmachen wollte.
Rosemary straffte die Schultern. „Und ich sehe, dass du der alte Besserwisser von früher bist“, gab sie kühl zurück.
Innerlich war sie alles andere als gelassen. Warum war ihr denn nichts Orginelleres eingefallen? In Willis’ Gegenwart war sie sich immer unbedeutend und dumm vorgekommen, so als ob ihr Hirn einfach nicht funktionierte. Nichts auch nur einigermaßen Interessantes war ihr in den Sinn gekommen, und auf seine vielen Beleidigungen hatte sie nie entsprechend reagieren können. Kein Wunder, dass sie ihn dadurch noch in seiner Meinung bestärkte, sie sei beschränkt.
Und jetzt stand Willis vor ihr, hier in ihrem eigenen Haus, und wieder fühlte sie sich unbeholfen und dumm. Es war unerträglich.
„Was tust du hier?“, fragte sie. Sie sah ihre Mutter an. „Mom, was will er hier?“
Ihre Mutter lächelte beschwichtigend.
„Ich will Bobrzynyckolonycki beobachten“, warf Willis ein.
Der Name kam ihm so leicht über die Lippen, als sei er der einfachste der Welt, und Rosemary starrte Willis fasziniert an. „Was willst du beobachten? Bobra … Bobriz …“ Sie brach ab und fragte dann: „Ist das etwas Gefährliches?“
Er runzelte die Stirn, und sie erinnerte sich, dass er sie immer mit diesem ungeduldigen Blick angesehen hatte. Sie hatte sich früher oft gefragt, wie er wohl aussehen würde, wenn er lächelte.
„Bob“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, als schmerzte ihn dieses Wort. „Bobrzynyckolonycki ist ‚Bob‘ für Laien wie dich.“
„Willis hat einen Forschungsauftrag vom MIT, Liebes. Er soll herausfinden, warum Bob ausgerechnet über Endicott unserer Erde am nächsten kommt. Ist das nicht wunderbar?“
Rosemary nickte nur. Sie hätte sich so etwas denken sollen. Willis war von dem verdammten Kometen immer fasziniert gewesen. „MIT?“
„Das bedeutet Massachusetts Institute of Technology“, sagte er belehrend.
Sie hob nur leicht die Augenbrauen. „Ich weiß, was MIT bedeutet. Ich will nur wissen, weshalb ausgerechnet du hier bist.“
Er lächelte. „Das ist einfach zu erklären, Rosemary. Ich habe ein Teleskop entworfen, mit dem ich die Entfernung des Kometen von der Erde sehr genau und auf eine neue Art messen kann. Das im Einzelnen zu erklären wäre reine Zeitverschwendung, denn das können Laien wie du nicht verstehen. Meine Ergebnisse könnten für die Fachwelt von großer Bedeutung sein.“
Rosemary war so wütend über seine Arroganz, dass es ihr die Sprache verschlug. Doch ihre Mutter hatte noch allerlei hinzuzufügen. „Willis hat fünf Diplome, Rosemary, ist das nicht fantastisch? In Physik, Mathematik, Astronomie und …“ Sie sah Willis fragend an.
„Astrophysik und Buchführung.“
Rosemary sah ihn überrascht an. „In Buchführung?“ Das passte ja nun gar nicht zusammen.
Er lächelte und wurde sogar ein wenig rot. „Das war ein Irrweg von zwei Semestern. Ich hatte plötzlich die Idee, Betriebsprüfer zu werden.“
Sie nickte nur.
Er wirkte etwas verlegen. „Das hatte etwas mit einem Mädchen zu tun.“
Rosemary unterdrückte ein Lächeln. Endlich konnte sie richtig kontern. „Ein Mädchen?“, fragte sie überrascht. „Du hattest etwas mit einem Mädchen? Nein, sag nichts, lass mich
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