JULIA COLLECTION Band 16
konnte, und sie konnten nur noch abwarten.
Aidan konnte sich niemanden vorstellen, mit dem er lieber warten würde als mit Sally. Sie war ihm den ganzen Tag nicht aus dem Sinn gegangen. Während seines Einsatzes und während der Vorbereitungen dazu war sie ständig durch seine Gedanken gegeistert. Sie hatte ihn daran erinnert, dass er jetzt an mehr denken musste als nur an sich selbst, und dass er sich außer um seine Familie noch um einen weiteren Menschen kümmern musste.
„Verdammt seltsam, wenn ich mir das mal genau überlege“, sagte er leise vor sich hin, lenkte den Jeep dabei um einen umgekippten Baum und hielt vorsichtig nach gerissenen Kabeln Ausschau. Er hatte nicht um eine weitere Verantwortung gebeten. Er hatte bestimmt nicht den Wunsch gehabt, sich nun auch Sorgen um eine wohlgeformte Blondine mit frechem Mundwerk zu machen.
Und trotzdem fuhr er durch die Hölle, nur um sie zu sehen, statt wie sonst immer auf der Basis auf den nächsten Einsatz zu warten. Aber er musste sich vergewissern, dass es ihr gut ging. Er hatte versucht, sie telefonisch zu erreichen, aber die Leitungen waren tot, was bei so einem Wetter auch kaum verwunderlich war.
Aber es war das erste Mal in seinem Leben, dass er deswegen am Rand der Verzweiflung war. Er packte das Lenkrad fester, als der Wagen vom Wind durchgerüttelt wurde. Aidan beugte sich vor, um durch die Windschutzscheibe nach oben zu sehen, und zuckte leicht zusammen, als er sah, dass die Bäume sich gefährlich tief über die Straße bogen. Die Luft schien voller Blätter zu sein, die von ihren Ästen gerissen worden waren und herumwirbelten wie winzige grüne Geschosse.
Aidan bog in den Elmwood Drive ein und nahm kaum die vielen mit Brettern vernagelten Häuser wahr und den verlassenen Eindruck, den diese sonst so gemütliche, von Kindergeschrei erfüllte Straße machte. Er hatte nur Augen für ein einziges Haus. Er hielt darauf zu, als würde er von einer unsichtbaren Macht angezogen, gegen die er auch gar nicht anzukämpfen gedachte. Und dann sah er sie.
Sally stand auf der Veranda und hielt sich krampfhaft am Geländer fest, als wäre es ihre Rettungsleine. Aidans Herzschlag steigerte sich umgehend, als er sah, wie der Wind an ihrem blonden Haar zerrte. Sie hob schützend eine Hand über ihre Augen, als er näher kam, und er konnte ihr freudig überraschtes Gesicht erkennen, als er auf die Auffahrt kam.
Er fuhr so dicht wie möglich an die Garage heran, wo der Wagen wenigstens von einer Seite her vom Haus beschützt werden würde. Dann stellte er den Motor aus, zog die Handbremse an und öffnete die Tür.
Der Wind riss sie ihm regelrecht aus der Hand, obwohl Aidan mit seiner Macht gerechnet hatte, und er konnte sie nur unter großer Kraftanstrengung wieder schließen.
Sobald er das geschafft hatte, rannte er auf das Haus zu. Mit jedem Schritt landete er entweder in einer Pfütze oder im Schlamm. Der Regen schien ihn erschlagen zu wollen, so unerbittlich prasselten die Tropfen auf ihn – als wollten sie ihn von Sally fernhalten. Aber nichts und niemand konnte das jetzt noch schaffen.
Er erreichte die Veranda, packte Sally um die Taille und zog sie ins Haus. Als sie die Tür sicher hinter sich zugedrückt hatten, zog Aidan Sally in die Arme, hielt sie einfach nur fest und genoss das Gefühl ihres kalten, nassen Körpers an seinem.
„Was hast du da draußen gemacht?“
„Ich konnte es hier drin nicht mehr aushalten“, gab sie zu und klammerte sich genauso fest an ihn. „Es kam mir hier so leer vor. So still.“
Er lachte kurz und hob den Kopf. Der Wind machte einen unglaublichen Lärm, als wäre er zornig und wollte seine Wut an den Menschen von Baywater auslassen. „Still?“
Sie seufzte tief auf. „Ich war … so allein. Und ich konnte es einfach nicht mehr ertragen.“
„Jetzt bist du nicht mehr allein.“
„Nein.“ Sie lächelte. „Ich kann dir nicht sagen, wie froh ich bin, dich zu sehen.“
Er streichelte ihre Wange. „Mir geht es auch nicht anders.“
Sie lockerte endlich ihren Griff und legte die Hände auf sein nasses T-Shirt. Ihre Berührung ging ihm durch und durch, und ihm war plötzlich so heiß, dass er sich nicht bewusst war, wie durchnässt er eigentlich war.
„Du warst sehr lange weg.“
Er nickte. „Der verschollene Mann war gar nicht so leicht zu finden.“
„Aber ihr habt ihn gefunden?“
„Ja.“ Aidan strich mit einer Hand über ihren Rücken, spürte, wie sie erschauerte, und glitt tiefer und tiefer, bis
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