JULIA COLLECTION Band 17
neunundzwanzig, um genau zu sein. Kate war erst ein Jahr alt, Rafe und ich vier, Jack sechs.“
„Es muss schrecklich für Sie alle gewesen sein.“
„Sie saßen zusammen im Ruderboot. Es gab Gerüchte, dass sie ein Verhältnis hatten und sich heimlich trafen.“
Cord sah, wie Miss Miller schluckte. „Ihre Mutter und Ihr Onkel?“
„Ja. Onkel Brandon war der Zwillingsbruder meines Vaters, wussten Sie das?“
„Nein.“
„Zwillinge liegen offenbar in der Familie.“
„Wie Sie und Ihr Bruder Rafe, was?“
Er nickte. „Das Boot muss gekentert sein.“
„Muss?“
Becky hatte die Flasche geleert und sah ihn an. Miss Miller streckte die Hand aus.
Er gab ihr die Flasche und hob Becky an die Schulter. Sie machte es sich dort bequem. Sekunden später machte sie ihr Bäuerchen. Cord strich ihr über den Rücken, während er Miss Miller ein weiteres dunkles Familiengeheimnis verriet. „Die Leichen wurden nie gefunden.“
„Nie gefunden? Im Teich? So groß kann er doch nicht sein.“
„Dieser schon. Sie werden es morgen sehen. Er ist zwei Meilen breit und an manchen Stellen über dreißig Fuß tief.“
„Aber hat man denn nicht …“
„Miss Miller, ich war vier Jahre alt. Ich erinnere mich nicht genau.“
„Und ich könnte mir vorstellen, dass Sie es auch nicht wollen.“
„Was soll das heißen?“
„Dass wir schmerzliche Erlebnisse gern verdrängen.“
„Sprechen Sie aus Erfahrung?“, fragte er.
Sie wich seinem Blick aus. „Ich sage nur, dass es ein wenig … unwahrscheinlich ist. Die Leichen hätten doch irgendwann auftauchen müssen. Vielleicht war es ganz anders.“
Er lächelte kühl. „Vermuten Sie, dass die beiden ihren Tod nur vorgetäuscht haben?“
„Ich vermute gar nichts. Ich erzähle Ihnen nur, was ich denke.“
„Das tun Sie oft. Aussprechen, was Sie denken.“
Ihr Kinn zuckte hoch. „Das mögen Sie nicht?“
„Miss Miller.“ Er atmete durch. „Ich mag es sehr.“
Das nahm ihr den Wind aus den Segeln. „Gut.“
Becky zappelte und stöhnte leise auf. Als ihm der Geruch in die Nase stieg, wusste er, was geschehen war.
„O nein“, sagte er.
Miss Miller schmunzelte. Warum amüsierte sie sich immer über ihn?
„Endlich ist es so weit“, verkündete sie.
Er stand auf und hielt ihr das Baby hin. „Übernehmen Sie das.“
Sie zeigte zur Wickelkommode. „Nein. Aber ich bleibe hier. Zur Verstärkung.“
Ihm blieb nichts anderes übrig, als Becky hinüberzutragen und hinzulegen.
„Sie sind gnadenlos, Miss Miller.“
„Hören Sie auf zu jammern. Ich helfe Ihnen, wenn Sie es nicht schaffen.“
Genau das tat sie. Sie erklärte ihm, was er tun musste. Aber sie ließ es ihn allein tun. Er schaffte es.
Danach setzte er sich wieder in den Schaukelstuhl. Seufzend schmiegte Becky sich an seine Schulter.
„In fünf Minuten wird sie fest schlafen“, sagte Miss Miller sanft.
Er schaukelte ein wenig und genoss die Stille.
„Ihr Vater …“, begann Miss Miller nach etwa zwei Minuten.
„Mein Vater … was?“
„Er scheint ein sehr verstörter Mensch zu sein.“
„Verstört.“ Cord dachte über das Wort nach und lachte bitter. „Gut, dass er das nicht gehört hat. Er wäre zutiefst beleidigt.“
„Warum?“
„Männer wie mein Vater sind nicht ‚verstört‘. Sie sind hart. Hart in geschäftlichen Dingen, hart in familiären Angelegenheiten. Nun ja, er war es. Jetzt, da er im Sterben liegt, ist er schwach. Die Vergangenheit holt ihn ein. Was er sagt, macht nicht viel Sinn.“
„Spricht er über den Bootsunfall?“
„Ja. Unter anderem.“ Er warf ihr einen Blick zu und fragte sich, wie viel sie ertragen konnte.
Das Halbdunkel, der warme kleine Körper an seiner Brust, das entspannte Schweigen, das eine Weile zwischen ihnen geherrscht hatte, all das ließ ihn mehr sagen, als er es sonst getan hätte.
„Man behauptet, dass ich wie er bin.“
„Wie Ihr Vater?“
„Richtig.“
„Wer ist ‚man‘?“
„Leute, die uns beide kennen.“
„Und in welcher Hinsicht sind Sie wie er?“, fragte sie.
„Na ja, erst einmal … sehen Rafe und ich ihm ähnlich.“
„Und?“
„Und ich bin selbst ein verdammt guter Geschäftsmann. Außerdem sind da noch …“
Sie lehnte an der Wickelkommode. „Ja?“
„All die Frauen.“
Ihr Blick wurde ein wenig verschlossener. „Die Frauen.“
„Ja. Er hat meine Mutter betrogen. Oft. Mit verschiedenen Frauen. Und nach dem Tod meiner Mutter gab es eine endlose Reihe von Freundinnen. Ich erinnere mich an
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