JULIA COLLECTION Band 17
zu voller Größe auf. Er schloss die Augen, wandte sich ab und atmete tief durch, doch der Versuch, sich die Erregung nicht anmerken zu lassen, scheiterte. Das Gesicht und der Hals waren rot, die Nasenflügel bebten, und seine Hände waren zu Fäusten geballt. Er biss die Zähne so fest zusammen, dass an seiner Wange ein Muskel zuckte.
Vielleicht sollte sie ihm vorschlagen, erst morgen weiter darüber zu reden. Er würde die Wahrheit verarbeiten können und den Rest in kleinen Dosen erfahren. Aber das wäre so, als würde man ein Pflaster Millimeter um Millimeter lösen, anstatt es mit einem Ruck abzureißen und den Schmerz auf einen kurzen Moment zu begrenzen.
Nein, es war besser, wenn sie es jetzt sofort hinter sich brachten.
„Na gut“, sagte sie und stand auf. Zum ersten Mal, seit er in ihr Leben zurückgekehrt war, half Rafe ihr nicht. Er schien es gar nicht zu bemerken. Innerlich seufzend führte sie ihn ins Esszimmer.
Seine Miene war nahezu ausdruckslos, und er wirkte auf unheimliche Weise ruhig. Seine Bewegungen waren nicht so geschmeidig wie sonst und erinnerten an einen Baum, der in einem Sturm eher zersplittern als sich ihm beugen würde. Caroline war sicher, dass ein Wutausbruch für Rafe gesünder gewesen wäre als diese fast übermenschliche Selbstbeherrschung.
Er setzte sich in den Sessel, den sonst sie einnahm. Sie zog die Akte mit dem Scheidungsurteil aus dem Karton, öffnete sie und legte sie ihm hin. Er griff danach, aber sie legte eine Hand auf den Arm.
„Ich lasse dich damit allein“, erklärte sie, als er sie fragend ansah. „Ich bin in der Küche. Ruf mich, wenn du etwas wissen willst.“
Er nickte knapp und wandte sich wieder der Akte zu. Sie ging davon und verbrachte die nächsten fünfzehn Minuten damit, das Geschirr abzuräumen und in den Spüler zu stellen. Dann holte sie eine Dose Hundefutter aus dem Schrank. Truman kam nicht wie sonst angerannt, sobald er das Geräusch des elektrischen Öffners hörte.
Besorgt schaute sie aus der Hintertür. Da saß er ja, am Zaun, der den Swimmingpool umgab, und kaute auf etwas herum. Sie ging zu ihm. Er wedelte mit dem Schwanz, ließ den großen Suppenknochen, an dem noch Fleisch hing, jedoch nicht fallen.
„Woher hast du den denn?“, fragte Caroline. „Als wüsste ich das nicht ganz genau.“
Truman nagte begeistert weiter.
„Bist du ab jetzt nett zu Rafe? Hm? Das solltest du. Was muss er dir spendieren, damit du ihn richtig magst? Ein Steak? Einen Braten? Einen Schinken?“
Als würde ihr Geplapper ihn stören, stand Truman auf und trug den Knochen davon, bevor er sich in fünf Metern Entfernung auf den Bauch fallen ließ und seine Mahlzeit fortsetzte.
Caroline lächelte. „Wenn du so weiterfrisst, wird dein Bauch beim Gehen auf den Boden hängen.“
Der Hund ignorierte sie. Sie ging zum Haus zurück und kam sich zurückgewiesen vor. Natürlich war das nichts verglichen mit dem, was Rafe fühlen musste. Das gebrochene Herz eines Kindes war am allerschwersten zu heilen. Sicher, jetzt war er erwachsen, aber er war ein kleiner Junge gewesen, als seine Mutter ihn verließ. Sich mit dem Tod eines Elternteils abzufinden war schwer genug. Sich damit abzufinden, dass man im Stich gelassen worden war, war unmöglich.
Obwohl er die Akte am liebsten gegen die Wand geschleudert hätte, zwang Rafe sich, sie zuzuklappen und zur Seite zu legen. Er hatte geglaubt, auf das hier vorbereitet zu sein. Er hatte sämtliche Möglichkeiten durchgespielt und gehofft, dass das alles viel zu lange her war, um ihn heute noch zu treffen. Er hatte sich getäuscht. Gründlich.
Er legte den Kopf in die Hände, schloss die Augen und wehrte sich gegen die schmerzhaften Bilder, die in ihm aufstiegen. Die Nächte, in denen er im Bett gelegen, sich nach seiner Mutter gesehnt und sich die Unterlippe blutig gebissen hatte, damit Caine ihn nicht weinen hörte. Die Prügel, die sie vier hatten erdulden müssen, vor allem jedoch Jack und er. Der Tag, an dem Caine ihn aus der Villa geworfen und ihm die finanzielle Unterstützung gestrichen hatte, weil er auf dem College nicht mehr Jura, sondern Kriminologie studierte.
Er hatte sparsam gelebt und sich Aushilfsjobs gesucht, um das Studium beenden zu können. Nach dem Abschluss war er in den U.S. Marshals Service eingetreten und hatte seinem alten Herrn bewiesen, dass er auf ihn nicht angewiesen war. Aber die alte Wunde war nie richtig verheilt.
Eigentlich konnte er es seiner Mutter nicht verdenken, dass sie Caine
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