JULIA COLLECTION Band 17
und lächelte an den richtigen Stellen, und er spürte, wie er ruhiger wurde. Als sie sich an ihn lehnte, erschien es ihm vollkommen natürlich, den Arm um sie zu legen.
Bevor er sich versah, drehte sich ihr Gespräch um die Akten, die sie am Nachmittag gefunden hatte. Er hatte keine Ahnung, wie sie es machte, aber plötzlich verspürte er das Bedürfnis, über seine Mutter zu reden. Es war, als hätte Caroline eine tief in ihm verborgene Schleuse geöffnet.
„Ich bin nicht sicher, was ich in den Akten finden wollte“, gestand er. „Aber ich weiß, ich wollte in der Lage sein, Caine ins Gesicht zu sagen, was für ein verdammter Lügner er ist. Das kann ich jetzt nicht, und ich weiß nicht mehr, was ich von den beiden halten soll.“
Caroline drückte seine Hand. „Lass dir Zeit.“
„Ich hatte mir ein Bild von meiner Mom gemacht – als warmherzige, liebevolle, fröhliche Frau.“ Seufzend schüttelte er den Kopf. „Und jetzt finde ich heraus, dass sie uns einfach im Stich gelassen hat … Irgendwie kriege ich meinen Verstand nicht dazu, das zu akzeptieren. Ich habe das Scheidungsurteil mit eigenen Augen gelesen. Trotzdem will ich es nicht glauben.“
„Das ist normal“, versicherte sie ihm. „Leugnen ist die erste Phase der Trauerarbeit.“
„Das habe ich alles schon durchgemacht, als ich dachte, sie sei tot.“ Er nahm ihre Hand zwischen seine. „Aber das alles ändert nichts, also was bleibt mir anderes übrig als Trauer?“
„Ich gewisser Weise verlierst du deine Mutter jetzt zum zweiten Mal, Rafe. Die wunderbare Frau, an die du geglaubt hast, hat dich selbst als vermeintliche Tote getröstet. Jetzt entdeckst du eine ganz andere Mutter und vermisst die alte, also ist dein Verlustgefühl so frisch und real wie damals. Deinen Geschwistern geht es vermutlich genauso.“
„Wenn Leugnen die erste Phase der Trauer ist, welche kommt als nächste?“, fragte er.
„Wut“, antwortete sie ohne Zögern. „Du hast sie selbst schon empfunden. Wenn du es den anderen erzählst, sei darauf vorbereitet, dass auch sie wütend sein werden.“
„Woher weißt du so viel darüber?“
Sie drehte sich zu ihm. „Ich habe es selbst durchgemacht, Rafe. Meine Eltern haben mich alles über Verrat gelehrt.“
„Deine Mutter hat dich nicht so verraten wie unsere uns“, widersprach er. „Wenn Caine die Wahrheit sagt, hat unsere Mom uns wegen ihres Liebhabers verlassen. Deine Mom war krank. Sie konnte nicht anders.“
„Das würde ich gern glauben, aber ich kann es nicht. Der einzige Unterschied ist, dass der Liebhaber meiner Mutter kein Mann, sondern der Wodka war. Und ist dir bewusst, dass der Verrat der Mutter doppelt so wehtut wie der des Vaters?“
Rafe nickte nachdenklich. „Du hast recht. Ich schätze, wir alle wollen, dass wenigstens ein Elternteil uns liebt. Die Väter sind für Disziplin zuständig und bringen uns dazu, ihren Respekt zu verdienen. Bei Müttern ist das anders.“
„Das stimmt.“ Caroline legte eine Hand auf ihren Bauch und spreizte schützend die Finger. „Wir stehen der Mutter immer näher und erwarten ganz einfach, dass sie uns mehr liebt als alles oder jeden anderen auf der Welt.“
Er sah sie an. „Meinst du, man kann es vermeiden, die Fehler seiner Eltern zu wiederholen?“
„Davon bin ich überzeugt.“ Sie presste eine Handfläche an seine Wange. „Du bist der beste Beweis dafür.“
Sie schwiegen. Rafe zog Caroline an sich und drückte ihren Kopf an seine Schulter. Mit dem Daumen streichelte sie seinen Handrücken. Er spürte, wie sich in ihm ein starkes Gefühl der Zufriedenheit ausbreitete. Dankbar küsste er sie auf den Kopf und rieb seine Wange an ihrem Haar. Er wusste, dass sie erschöpft war, aber er wollte für den Rest der Nacht so mit ihr sitzen bleiben.
„Verurteil deine Mutter noch nicht, Rafe“, sagte sie sanft. „Vielleicht hat Madelyn euch alle mehr geliebt, als ihr ahnt – was auch immer im Scheidungsurteil steht.“
„Wie kommst du darauf?“
„Offensichtlich hat Caine bei der Scheidung alles durchgesetzt, was er wollte. Aber das Urteil stellt nur das Endergebnis dar.“
Rafe zog eine Augenbraue hoch. „Ich habe keinen Hinweis darauf gefunden, dass sie um uns gekämpft hat.“
„Genau das ist mein Punkt. Das Urteil sagt nichts darüber aus, wie es zustande gekommen ist. Vielleicht hat sie um das Sorgerecht für ihre Kinder gekämpft, es aber aus welchem Grund auch immer nicht bekommen. Ich finde das Urteil für die damalige Zeit ziemlich
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