JULIA COLLECTION Band 20
nicht so mühelos. Ein bisschen Kerzenschein, Musik und Wein, und schon verriet sie Geheimnisse, die sie nicht einmal ihren beiden besten Freundinnen anvertraut hatte. Damals hatte eines zum anderen geführt, und ehe Daisy richtig begriffen hatte, was geschehen war, war sie mit diesem widerlichen, verlogenen Mistkerl verlobt gewesen, der die moralischen Grundsätze einer Raubkatze besessen hatte.
Keine Kerzen mehr, sagte sie sich. Und schon gar keine romantische Musik. Und was die Intimität betraf, so würde sie sich eben beherrschen müssen.
„Das hier ist sicher der Salon.“ Kell öffnete die nächste Tür und blickte in das düstere Zimmer.
Daisy bemerkte selbst kaum, dass sie Kells schmale Hüften betrachtete und sich fragte, ob er wohl Schmerzen vom Sturz von der Leiter hatte. Sollte sie ihm vielleicht anbieten, dass sie ihn dort mit Salbe massierte? Nur um den Schmerz zu lindern, natürlich. „Das ist der hintere Salon.“ Jetzt klang sie schon fast wie die Maklerin, die sie vor sieben Jahren durch ihr Apartment geführt hatte. „Es gibt zwei Salons im Haus.“ Sie schaltete den Kronleuchter an und machte sich sofort eine gedankliche Notiz, die kaputten Glühbirnen noch auszuwechseln. Jetzt herrschte hier ein Dämmerlicht, das fast romantisch wirkte, und auf Romantik konnte Daisy gern verzichten.
Eingehend betrachtete Kell das Sofa und die Sessel, einen Stuhl, einen unbequem aussehenden Schaukelstuhl und einen großen Tisch, auf dem eine ausgestopfte Eule und eine Vase mit Trockenblumen standen. Spinnweben hingen zwischen der Vase und der Eule. „Ich bin zwar kein Experte für Antiquitäten, aber dieser Kram hier ist doch geradezu hässlich, egal ob es alte Erbstücke sind oder nicht.“
„Versuchen Sie lieber mal, diese Möbel zu verschieben, um darunter sauber zu machen“, erwiderte Daisy. Mitten im Zimmer lag ein hässlicher alter Teppich mit Blumenmuster, der Holzboden darum herum verschwand fast unter einer Staubschicht. „Sie sehen sicher selbst, dass wir mit dem Saubermachen noch nicht bis zu diesem Zimmer gekommen sind.“
„Wenn Sie unter all diesen Möbeln putzen wollen, dann brauchen Sie Hilfe. Diese Monster sind doch tonnenschwer.“
Während der nächsten Minuten gingen sie durch Zwischentüren von einem Raum in den anderen, und Kell fragte Daisy nach seinem Halbonkel aus.
„Hat Ihr Vater denn nie Harveys … besondere Lebensumstände erwähnt?“
„Nein, mein Vater hat nie über seine Familie gesprochen. Vielleicht war ich damals auch zu jung und dumm, um ihm richtig zuzuhören.“
„Mr. Snow konnte bis vor ein paar Jahren noch Auto fahren, aber sein eigentlicher Stolz war von Kindheit an seine Bibliothek.“ Als sie die Bibliothek betraten, wies Daisy mit einem Kopfnicken auf ein paar Regale mit Kinderbüchern. „Ich weiß im Grunde nichts über seine Kindheit, aber irgendjemand hat hier eine Menge Geld für Kinderbücher und Brettspiele ausgegeben. Wir haben ganze Kartons damit voll gepackt und sie letztes Weihnachten an die Heilsarmee verschenkt.“
„Ich schätze, seine medizinische Versorgung war auch nicht ganz billig“, stellte Kell fest. „Das könnte auch erklären, wieso mein Dad sein Zuhause verlassen hat. Sicher wollte er Geld verdienen, falls es gebraucht wurde.“ Möglicherweise war er auch nur eifersüchtig auf seinen jüngeren Bruder, der so viel Hilfe und Zuwendung benötigt hatte. Das würde Kell nie erfahren, und vielleicht war es auch besser so.
„Ich habe ihm oft vorgelesen.“ Daisy seufzte. „Nach dem Schlaganfall konnte er Zeitungen nicht mehr so gut halten, aber seine Bücher hat er bis zuletzt geliebt. Durch ihn habe ich ein paar wundervolle Autoren kennengelernt, von denen ich vorher noch nie etwas gehört hatte. Er war sehr humorvoll, und ich bin sicher, Sie hätten ihn gemocht.“
„Ja, wahrscheinlich.“ Kell setzte sich auf ein hässlich gemustertes Sofa und suchte in seiner Erinnerung nach Bemerkungen seines Vaters über seinen jüngeren Bruder. Wieso hatte er nur so lange mit seinen Nachforschungen gewartet? Jetzt war er so weit gereist und hatte nichts vorgefunden als ein Begräbnis und ein altes Haus voller Erinnerungsstücke.
Daisy gähnte. „Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen, aber ich bin hier erst im letzten August eingezogen. Vorher bekam Mr. Snow regelmäßig Physiotherapie, und er hatte eine Köchin. Und Faylene natürlich.“ Wieder gähnte sie.
Kell warf einen Blick auf seine Uhr. Schade, dass der Abend schon
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