Julia Collection Band 21
den Venstar-Managern befand sich kein Einziger, der nicht das Gefühl hatte, sein Job könne auf dem Spiel stehen. Die Rücksichtslosigkeit, mit der Andreo D’Alessio sich in der Geschäftswelt einen Namen gemacht hatte, war legendär.
„Dies sollte Ihnen helfen, die einzelnen Mitglieder der Unternehmensleitung einzuordnen, wenn Sie uns in England besuchen.“ Einer der Direktoren reichte ihm mit einem nervösen Lachen eine Firmenzeitschrift, die ein Foto der Führungsriege zeigte.
Andreo D’Alessio studierte kritisch das Titelbild. In der Reihe stand nur eine Frau, und er bemerkte sie nur deshalb auf den ersten Blick, weil sie die Aufnahme störte. Sie war sehr groß, und ihre gebeugte, unscheinbare Haltung erinnerte stark an ein scheues, mageres Giraffenjunges, das sich vergeblich bemühte, seine überlangen Beine zu verbergen. Dicke Brillengläser in einer schweren Fassung beherrschten ihr schmales, ernstes Gesicht. Was jedoch Andreos Aufmerksamkeit am meisten fesselte, war ihr ungepflegtes Äußeres. Die wilde, ungebändigte Lockenmähne verlangte, dringend gebürstet zu werden. Stirnrunzelnd registrierte er, dass an ihrer schlecht sitzenden Jacke ein Knopf fehlte und der Saum an einem Bein ihrer formlosen Hose aufgerissen war. Er unterdrückte ein Schaudern. Da er selbst der Inbegriff kühler Eleganz war, brachte er wenig Toleranz für Menschen auf, die seinen hohen Ansprüchen nicht genügten.
„Wer ist diese Frau?“, erkundigte er sich.
„Frau?“, wurde er ratlos gefragt.
Er musste auf das Foto deuten, bevor seine Begleiter begriffen, von wem er sprach.
„Ach, Sie meinen Pippa!“, rief schließlich ein Venstar-Manager, als hätte er erst jetzt erkannt, dass sich in ihren Reihen tatsächlich ein weibliches Wesen befand. „Pippa ist die Assistentin des Leiters unserer Finanzabteilung.“
„Wir betrachten sie nicht als Frau. Sie hat ein Gehirn wie ein Taschenrechner. Ein akademisches Wunderkind, das an nichts anderes denkt als an seine Arbeit“, warf ein zweiter Direktor bewundernd ein. „Sie geht völlig in ihrem Job auf und hat seit drei Jahren keinen freien Tag genommen.“
„Das ist ungesund“, erklärte Andreo missbilligend. „Gestresste und erschöpfte Angestellte bringen nicht die volle Leistung und machen Fehler. Die Dame braucht Urlaub. Der Personalchef sollte außerdem mit ihr ein Wort über ihr schlampiges Äußeres reden.“
Fassungsloses Schweigen. Bäuche wurden eingezogen und Jacketts geglättet, denn keiner der Männer war sicher, welcher Makel die gefährliche Bezeichnung „schlampig“ ausgelöst hatte. Schlampig? War Pippa schlampig? Niemand hatte Pippa je lange genug angeschaut, um sie richtig wahrzunehmen. Sie war ein Zahlengenie und überaus tüchtig, und mehr wusste man nicht über sie.
Aber auch an manchen männlichen Führungskräften fand Andreo etwas auszusetzen. „Ich halte nichts von falscher Bescheidenheit bei der Garderobe, denn damit beeindruckt man keinen Kunden. Ich wünsche keine Jeans im Büro. Modisch dezente Kleidung zeugt von Disziplin und erweckt Respekt. Dieser Mann hier braucht einen Haarschnitt und ein neues Hemd.“ Er tippte ungeduldig mit dem Finger auf einen der Abgebildeten. „Zeit, die man auf sein Erscheinungsbild verwendet, ist nie vergeudet.“
Fast alle Männer im Raum beschlossen, eine Diät zu machen, zum Friseur zu gehen und sich einen neuen Anzug zu kaufen. Andreo, mit seinen knapp einsfünfundneunzig, lebte schließlich vor, was er predigte. Schlank, athletisch und unleugbar souverän in einem Designeranzug von Armani, bot er einen so eindrucksvollen Anblick, dass die jüngeren Männer von dem Wunsch beseelt wurden, ihm nachzueifern. Ricky Brownlow allerdings war von seinem eigenen attraktiven Äußeren so überzeugt, dass er ein selbstzufriedenes Lächeln nicht verhehlen konnte. Er hatte gerade eine Möglichkeit gefunden, seine derzeitige Geliebte über Pippas Kopf hinweg zu befördern, ohne unnötige Kritik dafür zu ernten.
„Die Personalabteilung muss außerdem neue Prioritäten setzen. Ich erwarte eine rasante Verbesserung, was die Vergabe von Führungspositionen an Frauen betrifft“, fügte Andreo hinzu.
Als ihr direkter Vorgesetzter Ricky Brownlow Pippa in sein Büro bat und ihr die schlechte Nachricht überbrachte, traute sie ihren Ohren kaum. „Cheryl soll die neue Leiterin der Finanzabteilung werden?“, rief sie ungläubig.
Ricky nickte lässig, als gäbe es an dieser Entwicklung überhaupt nichts
Weitere Kostenlose Bücher