Julia Collection Band 26
in der Stadt. Nein, ich hatte kein Glück. Niemand zu finden. Ja, natürlich habe ich mich bemüht.“
Er warf Charity einen finsteren Blick zu, und sie öffnete hastig ihren Koffer, griff nach einigen Kleidungsstücken und verschwand im Bad.
Als sie die Tür hinter sich schloss, hörte sie Kane sagen: „Was bleibt uns denn schon übrig? Wir beide müssen uns allein behelfen. Werden wir eben zu modernen Männern, und entdecken wir unsere femininen Seiten.“
Unter der Dusche drückte Charity den schmerzenden Kopf mit der Stirn gegen die kühlen Kacheln und genoss die warmen Wasserstrahlen.
Was sollte sie bloß tun? Es war ja ganz schön, Kane großspurig zu versichern, sie würde in Mirrabrook bleiben und Tim suchen. Aber wer würde ihr helfen, und wo sollte sie bleiben?
Was wohl eine Unterkunft wie diese hier kostete? Viel Geld hatte sie nicht, weil sie gehofft hatte, das Problem rasch zu lösen.
Als sie aus dem Bad kam, hatte sie um den Kopf ein weißes Handtuch gewickelt und trug die Sachen, nach denen sie wahllos gegriffen hatte – ihre beste cremefarbene Hose und eine hellblaue Seidenbluse. Kane hatte ein Hemd über den muskulösen Oberkörper gezogen und saß verdrossen auf seinem Bett.
„Stimmt etwas nicht?“, fragte Charity.
„Mein Bruder ist einfach stur.“ Er richtete den Blick wie gebannt auf das Handtuch, das sie um den Kopf geschlungen hatte.
„Was ist los?“, erkundigte sie sich atemlos.
„Ich frage mich, welche Farbe Ihr Haar hat, wenn es feucht ist.“
„Weiß ich nicht“, entgegnete sie verwirrt und verlegen. „Einfach rot, würde ich sagen.“
„Oh nein, Charity“, widersprach er und stand auf. „Ihr Haar kann gar nicht einfach rot sein.“
Einen Moment dachte sie, er würde ihr das Handtuch vom Kopf ziehen, doch er tat es nicht. Er stand nur da und sah sie so durchdringend an, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief.
„Ich suche meine Haarbürste“, erklärte sie nervös. Kein Mann hatte sie bisher so wie Kane betrachtet. Daheim in Hollydean hatte sie einige Freunde gehabt, unwichtige und auch etwas bedeutungsvollere. Einmal hatte sie sogar einen Heiratsantrag erhalten. Bei keinem dieser Männer hatte sie sich jedoch wie jetzt gefühlt.
Überstürzt holte sie die Haarbürste aus der Handtasche, eilte ins Bad zurück und schloss die Tür hinter sich.
Zu Hause ließ sie das Haar meistens an der Luft trocknen, damit es in weichen Wellen fiel. Heute war ihr das jedoch gleichgültig. Sie benutzte den Föhn, und wenn dadurch die Haare wie die Stacheln eines Igels vom Kopf abstanden, störte sie das auch nicht. Hauptsache, Kane McKinnon sah sie nie wieder so an wie vorhin.
Sein durchdringender Blick hatte tief in ihr ein Sehnen erweckt, das womöglich nicht wieder verschwinden würde. Das schockte sie dermaßen, dass sie ihr Haar zu einem strengen Knoten wand und mit einigen Nadeln feststeckte, ehe sie sich ins Schlafzimmer zurückwagte.
„Jetzt sehen Sie wie eine Lehrerin der Sonntagsschule aus“, stellte er fest und betrachtete sie zum Glück bereits wesentlich weniger durchdringend.
„Das kommt vielleicht daher“, erwiderte sie möglichst würdevoll, „dass ich tatsächlich Lehrerin an der Sonntagsschule bin.“
„Ehrlich?“
„Ja. Ich bin eine richtige Sonntagsschullehrerin.“
„Was machen Sie denn sonst noch?“, erkundigte er sich.
Sein leicht spöttischer Ton reizte sie. Sehr gern hätte sie ihm eine beeindruckende Antwort gegeben, doch sie konnte nicht lügen, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Was sie sonst noch machte, war alles andere als bemerkenswert.
Die meisten von ihrer Schule hatten Reisen unternommen, an der Universität studiert oder Arbeit in London gefunden. Sie war in Hollydean geblieben, um ihrem Vater und Tim zu helfen. Kamen ihre Freunde zu Besuch nach Hause, hielten sie ihr stets vor, sie würde in einer anderen Zeit leben, seit sie die Schule verlassen habe.
Bestimmt beeindruckte es Kane McKinnon nicht sonderlich, dass sie in der Pfarrgemeinde eine wichtige Rolle spielte, indem sie sich um den Haushalt des Geistlichen kümmerte, die Chorproben leitete, an der Sonntagsschule unterrichtete und die Alten und Kranken betreute.
Es brachte auch nichts, ihm zu erklären, dass sie dermaßen wichtig und unersetzlich war, dass die Damen vom Mütterwerk während ihrer Abwesenheit die Arbeit unter sich hatten aufteilen müssen.
Trotzdem warf sie Kane einen stolzen Blick zu. „Ich bin eine ausgezeichnete Haushälterin“,
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