Julia Collection Band 28
gelernt. In einer großen irisch-katholischen Familie ist es unvermeidlich, dass Erwachsene und Kinder gemeinsam essen, und niemand bereitet gern zwei verschiedene Mahlzeiten zu.“
Sam nickte. „Kompliment für die Köchin.“
Jetzt musste Erin auf die heikleren Themen zu sprechen kommen. So lässig und nebenbei wie nur möglich fragte sie: „Was ist mit Ihnen? Haben Sie Nichten und Neffen?“
Er stockte, und es dauerte eine Weile, ehe er sie ansah. „Einzelkind. Schon vergessen?“
„Ja, richtig. Schade. Ich hänge an den Kindern meiner Brüder.“ Sie lachte. „Ich heize die Kleinen an, bis sie richtig wild sind, und dann übergebe ich sie wieder ihren Eltern. Das ist meine Rache an meinen Brüdern für alles, was sie mir angetan haben“, fügte sie noch immer lachend hinzu.
Zu ihrer Erleichterung entspannte Sam sich wieder.
„Es ist wirklich schön, Tante zu sein“, fuhr sie fort und steuerte das eigentliche Ziel an. „Und es war gut, so viel Unterstützung zu bekommen, als der kleine Bryce starb. Stört es Sie, wenn ich darüber rede?“
„Nein, gar nicht“, erwiderte Sam und aß weiter.
Sie schloss die Augen. „Es war schrecklich, einfach unerträglich. Unmittelbar nach dem Unfall bin ich an manchen Tagen kaum aus dem Bett gekommen, und für Eamon und Susan war es noch viel schlimmer.“
„Das sind Ihr Bruder und seine Frau?“
Sie nickte. „Auch für die Kinder war es hart. Eamon ist ein typischer Erstgeborener, wenn Sie wissen, was ich meine.“
Sam zuckte nur mit den Schultern.
„Er wollte für alle anderen der Halt im Sturm sein, obwohl er das Schlimmste erlebt hat, was Eltern zustoßen kann.“ Erin schauderte. „Es hat eine Weile gedauert, um ihm klarzumachen, dass seine Gefühle und seine Trauer genauso viel zählen wie die der anderen. Als er das endlich begriff, war ich für ihn da, und er hat sich auf mich gestützt.“
Sam nickte schweigend.
Wenigstens hörte er ihr zu. Das war ein gutes Zeichen. „Als er anfing, seine Trauer aufzuarbeiten, konnten das auch die anderen. Es ist seltsam, wie sich die Mitglieder einer Familie nach dem Vorbild einer ganz bestimmten Person richten. Manchmal wissen die Menschen gar nicht, wie sie auf eine Tragödie reagieren sollen. Jeder von uns versucht, sein Bestes zu geben.“
„Erin?“
„Ja?“
„Sprechen Sie vielleicht zufällig über mich?“
Er hatte sie durchschaut, doch sie verzog keine Miene. „Nein, natürlich nicht, sondern über Eamon. Es hat auch mit mir zu tun, weil ich dadurch zu meinem Beruf gekommen bin. Ich möchte, dass Sie mich besser verstehen.“
Sam blieb zwar misstrauisch, nickte jedoch.
Sie strich sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. „Ich werde nie die Erfahrungen vergessen, die ich durch Bryces Tod gesammelt habe.“
„Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie die Betroffenen das überstanden haben.“
Endlich fing er zu reden an. Das war sehr gut. „Doch, Sie können es sich schon vorstellen. Sie haben es auch überstanden.“
Darauf ging er nicht weiter ein.
Erin spielte nervös mit dem Platzdeckchen. „Hat Ihnen Ihre Familie geholfen, nachdem …?“
Sein Gesicht verdüsterte sich, und Erin war bereits sicher, dass er nicht antworten würde. Nach einer Weile legte er das Besteck aus den Händen. „Nein.“
„Das tut mir leid.“
„Nicht nötig. Schätzen Sie sich einfach glücklich, so viele Brüder zu haben, die Sie ärgern … und Eltern, die Sie lieben.“
„Meine Eltern sind wirklich großartig, und ich hänge auch an meinen unmöglichen Brüdern. Ich würde mir nur wünschen, dass sie mich endlich als Frau und nicht mehr als kleines Mädchen sehen.“
Sam richtete den Blick so durchdringend auf sie, dass sie für Sekunden alles andere vergaß und sich nicht mehr bemühte, ihn zum Reden zu bringen. Sie hörte die Küchenuhr ticken und die Spülmaschine summen, und sie war von diesem Blick völlig gefangen. Oh, oh! Das gab noch Probleme.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand Sie nicht als Frau sieht“, sagte er gedämpft.
„Vielen Dank“, erwiderte sie verlegen, „aber …“
„Andererseits würde ich Sie als Ihr Bruder auch mit aller Kraft verteidigen.“
„Sie sind ein Gentleman, Sam“, stellte sie lächelnd fest. „Aber vielen Dank. Ganz sicher brauche ich nicht noch einen Bruder. Das hätte mir gerade noch gefehlt!“
Er stand auf und trug seinen Teller zur Spüle. „Danke fürs Essen, Erin. Es hat ausgezeichnet geschmeckt, aber es war
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