Julia Collection Band 28
den Karton dann nicht einfach wie versprochen in die Küche?
Seine Gedanken wanderten unvermittelt zu Lissa und Adam, seiner anderen Familie, und auch zu dem kleinen Mark. Er dachte sogar an Jared Cambry. Sam biss die Zähne zusammen. Es hatte keinen Sinn, sich auszumalen, was alles hätte sein können, wenn …
Trotzdem – es hätte für ihn und seine Geschwister ganz anders laufen können, wäre Cambry nach dem Tod ihrer Mutter aufgetaucht. Sam könnte heute sogar Teil einer Familie sein, die der Erins ähnelte.
Er schob den Karton von sich und ließ sich aufs Bett sinken. Im letzten Zeitungsbericht über die wiedervereinigten Zwillinge Lissa und Adam hatte gestanden, dass die Ärzte noch nicht sicher sagen konnten, wie der Körper des kleinen Mark auf die Knochenmarktransplantation reagierte.
Sam dachte an Jessica und hatte plötzlich Mitleid mit Jared Cambry und der ganzen Familie. Niemand sollte ein Kind verlieren. Mochte Sam auch noch so verbittert sein, weil Cambry sich nie um ihn gekümmert hatte, wünschte er dem kleinen Mark doch alles Gute.
Mark – seinem Bruder!
Sam schloss die Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Hinterher fühlte er sich auf einmal leichter. Langsam setzte er sich auf und öffnete den Karton.
Fotos von ihm und Jenny auf dem Standesamt. Dann das erste gemeinsame Weihnachtsfest mit einem Baum ohne Lichter, weil sie sich keine leisten konnten, und mit selbst gebasteltem Schmuck. Trotzdem hatte ihm der Baum gefallen, der nicht in einem Ständer, sondern in einem Eimer Katzenstreu steckte und mit einem Faden an einem Nagel an der Wand befestigt war. Es war eines der schönsten Weihnachtsfeste gewesen, an die er sich erinnern konnte.
Es schnürte ihm die Kehle zusammen, als er nach einem bestimmten Bild griff. Es wurde an dem Tag aufgenommen, an dem Jessica nach schlimmen sechsundzwanzig Stunden Wehen zur Welt gekommen war. Jenny wirkte erschöpft wie nach einem Marathonlauf, aber sie war glücklich.
Eigentlich war sie nie glücklich gewesen, bis auf diesen einen Tag. Sam lächelte betrübt, und der Eispanzer um sein Herz schmolz ein wenig.
Erin hatte recht. Es würde der Kleinen helfen, ein Album mit diesen Bildern zu haben. Und vielleicht half das sogar ihm. Es war höchste Zeit, dass er sich nicht länger vor der Vergangenheit versteckte und in die Zukunft blickte.
Er fühlte sich bereits besser, als er die Fotos in den Karton zurücklegte, ihn nach unten brachte und zusammen mit einer kurzen Nachricht für Erin auf dem Küchentisch zurückließ.
Danach kehrte er in sein Zimmer zurück und schlief zum ersten Mal seit einem halben Jahr wie ein Stein.
7. KAPITEL
Die erste Woche als Kindermädchen verging für Erin wie im Flug. Vormittags beschäftigten Jessica und sie sich mit dem Einkleben der Fotos in das neu gekaufte Album. Das machte ihnen beiden viel Freude, obwohl das Mädchen immer wieder eine Pause brauchte, in der sie mit ihren Kuscheltieren spielte. Erin war das nur recht, weil sie dadurch viel im Haushalt geschafft bekam. Und wenn ihr dann noch Zeit blieb, schaute sie die Fotos für sich und in aller Ruhe an.
Dabei fiel ihr auf, dass Jenny Lowery sehr oft viel zu ernst wirkte. Was für eine Frau war sie gewesen? Und wieso gab es keine Bilder von Angehörigen? Vielleicht wurden sie getrennt aufbewahrt. Es wäre jedenfalls schön gewesen, mehrere Generationen in dem Album zu verewigen. Natürlich hätte sie Sam fragen können, doch vorerst hatte sie ihn schon genug unter Druck gesetzt.
Nachmittags ging Erin mit der Kleinen in den Park, spielte mit ihr mit Puppen, brachte ihr Fingermalen bei und beschäftigte sie mit Puzzlespielen und Plätzchenbacken. Und immer wieder kamen sie auf das Fotoalbum zurück. Trotzdem sagte Jessica kein Wort über ihre Mutter. Ab und zu rief sie fröhlich „Ich!“ oder „Daddy“, wenn sie ein Foto betrachtete, aber die Bilder von Jenny legte sie schweigend auf einen eigenen Stapel.
Nur Jessica durfte diese Bilder berühren. Erin versuchte erst gar nicht, sie zu ordnen. Ein einziges Mal hatte sie nach dem Stapel gegriffen, doch Jessica hatte ihn an sich gerissen und mit Tränen in den Augen an die Brust gedrückt. Erin hatte sofort verstanden. Die Trauer des Mädchens saß tief, so tief, dass sie nicht einmal auf die harmlosesten Fragen in Bezug auf die Fotos antwortete.
Das sollte sich ändern, und Sam war derjenige, der dies bewirken musste. Was Jenny anging, war er jedoch genau wie seine Tochter total verschlossen.
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