Julia Collection Band 57
hast?“
„Indem ich ihnen die Wahrheit sage“, erwiderte Lincoln ruhig. „Aber das kann ich nur, wenn ich alle Einzelheiten kenne.“
„Ja.“ Auch für Lindsey war klar, dass die Wahrheit der Ausgangspunkt für ein Leben sein musste, das sich ab heute vollkommen ändern würde. „Soll ich jetzt anfangen?“
„Du bist erschöpft, Lindsey. Wir reden ein andermal weiter. Jetzt sollten wir lieber die Köstlichkeiten probieren, die Edens Küchenchef für uns zubereitet hat.“
„Ich kann nicht.“ Auch wenn das Schuldgefühl, das sie jahrelang mit sich herumgetragen hatte, etwas weniger geworden war, so waren ihre letzten Kraftreserven erschöpft. Sie hatte absolut keinen Appetit.
Der Anblick des so hübsch mit Frannie Stuarts altem Porzellan gedeckten Tisches, auf dem zudem ein kleiner, mit einer einzelnen Lilie geschmückter Geschenkkorb stand, machte Lindsey ganz traurig. Eden und Cullen hatten auf Lincolns Bitte hin das alles für sie arrangiert. Doch sie hatte einfach nicht die Kraft, diese Liebeswürdigkeit zu genießen.
Ihr traten Tränen in die Augen. „Entschuldige, dass ich nichts essen kann und so schwach bin.“
Lincoln sah keine Schwäche darin, dass sie am Ende ihrer Kräfte war. Für ihn war es ein Zeichen innerer Stärke. Wie bei den Kriegern, die bis zum völligen körperlichen Zusammenbruch kämpften, ohne dass ihr Kampfgeist gebrochen war.
„Ich bin derjenige, der sich entschuldigen sollte. Da bringe ich dich nach Hause, damit du endlich ausruhen kannst, und dann präsentiere ich dir ein festliches Dinner.“ Er ergriff ihre Hand und stand auf. „Das Essen kann warten. Was du jetzt brauchst, ist ein ausgiebiges heißes Bad und dazu ein schönes Glas Wein.“
Lindsey widersprach nicht. Ein heißes Bad klang himmlisch.
„Wie es aussieht, zieht ein Unwetter auf. Während du in der Wanne entspannst, räume ich schnell den Tisch ab und fahre dann nach Belle Rêve hinüber, um zu sehen, ob Jesse Hilfe mit den Pferden braucht. Denn wenn Jacksons Araber eines noch mehr in Angst und Schrecken versetzt als Blitz und Donner, dann Wind.“
„Fährst du auch nach River Trace?“ Obwohl sie noch nie dort war, hatte sie inzwischen einiges über Jackson Cades Anwesen erfahren. Cade hatte ihr erzählt, dass Lincolns gut aussehender Bruder nur einen Teil des alten Herrenhauses bewohnte, der Rest musste noch restauriert werden. Auf River Trace züchtete er seine Pferde.
„Nur, um nach der Stute zu sehen. Ich habe mit Jackson gesprochen. Da Jefferson bei Cade im Krankenhaus ist, hat Merrie Alexandre angeboten, seinen Männern mit den Pferden zu helfen. Falls die Geburt des Fohlens nicht unmittelbar bevorsteht, braucht er sonst keine weitere Hilfe. Es stimmt schon, außer Jesse und Jefferson, vielleicht noch Jackson, kann niemand besser mit Pferden umgehen als Edens kleiner weiblicher Gaucho.“
Auf Lindseys verständnislosen Blick hin erklärte Lincoln: „Merrie ist die Tochter einer Freundin von Eden. Sie wohnt und arbeitet im Hotel, während sie das hiesige College besucht. Ihr Vater, ein sehr reicher Geschäftsmann in Argentinien, ist von zwei Dingen fest überzeugt – jeder sollte wissen, was Arbeit heißt, auch seine einzige Tochter. Und eine Lady sollte erst einmal eine Lady sein, dann erst eine Pferdenärrin, und nie und nimmer sollte sie sich unter die Stallburschen oder Gauchos mischen.“
„Also schickt er sie hierher, und sie landet als Aushilfe auf einer Pferderanch.“ Lindsey musste schmunzeln.
„Nur weil ihr Vater einverstanden war und Eden ein Auge auf sie hat.“
„Wenn jemand eine Lady aus Mr Alexandres Tochter machen kann, dann wohl Eden Cade“, mutmaßte Lindsey.
Lincoln wusste da noch jemanden, aber Lindsey brauchte jetzt keine Komplimente, sondern ein heißes Bad. „Hier, nimm Edens Körbchen mit. Probier das Badeöl aus. Es ist Cullens Version von Umu Hei Monoi, einem Öl, das auf seiner Heimatinsel oft verwendet wird. Wie Eden sich mit dem Benehmen einer Lady auskennt, so kennt sich unser Südseeinsulaner mit der Magie der Düfte aus.“
Es überraschte Lindsey, dass der Hüne, den sie kennengelernt hatte, sich mit der Kreation feiner Düfte beschäftigte.
„Cullen ist ein richtiges Multitalent.“ Lincoln ließ unerwähnt, dass in den Sagen der Südseeinsulaner, von den Cullen abstammte, Umu Hei Monoi als Parfüm der Liebesgöttin galt.
Ein plötzlicher Windstoß rüttelte an den Fensterläden, als wolle er ankündigen, dass das Unwetter im Anmarsch war.
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