Julia Collection Band 57
Er hatte damals gerade die schlimmste Nachricht erhalten, die man sich vorstellen kann – nämlich, langsam und ohne Würde sterben zu müssen. Da würde wohl jeder die Nerven verlieren. Ja, er wusste, dass ich zurückstecken würde, und verdammt, ich tat es dann ja auch.
Als ich dich verließ, musstest du glauben, ich hätte nur aus purer Lust mit dir geschlafen. Durch mich wiederholten sich die Erfahrungen deiner Jugend. Ich war nur ein weiterer Mensch, der sich von dir abwandte. Noch jemand, der dich nicht wollte.“
„Aber Lucky wollte mich. Deshalb war er nicht wütend, als ich merkte, dass ich schwanger war, sondern eher deprimiert. Deshalb bestand er darauf, dass das Kind Cade hieß. Deshalb lehrte er Cade von Anfang an, dich zu lieben. Und deshalb musste ich ihm letztendlich versprechen, Cade hierher zu bringen.“
„Er wollte alles wiedergutmachen, indem er quasi meinen Sohn zu mir führte.“
„Er konnte nicht sicher sein, dass ich Wort halten und herkommen würde.“ Lindsey wandte sich von Lincoln ab. Inzwischen war die Sonne ganz aufgegangen, und es hatte zu regnen begonnen. Regen und Sonnenschein, ein Widerspruch, genau wie Lucky Stuart.
„Doch.“ Lincoln lächelte. „Er kannte uns sehr gut. Er wusste, wie wir reagieren würden. Seine Trumpfkarte war, dass du ein Findelkind warst, das bei Pflegeeltern und im Waisenhaus aufwuchs. Dass du dir den Namen Lindsey Blair selbst gegeben hast. Dass es in deinem ganzen Leben niemanden gegeben hat, der dich wirklich wollte.“
„Außer Lucky.“ Und für eine Weile Lincoln. Jetzt wollte er sie wieder, für Cade.
„Er war ein guter, selbstloser Freund, dessen Leben plötzlich aus den Fugen geraten war. Er trauerte damals noch um Frannie. Dann kam der Einsatz bei dem Waldbrand mit den Verbrennungen und die Eröffnung im Krankenhaus, dass sein Leben, wie er es bis dahin kannte, zu Ende war. Du und ich, wir gaben ihm den Rest.“
„Wie hat er nur gemerkt, dass etwas zwischen uns war?“
„Er hat dich geliebt, Lindsey. Da hatte er ein Gespür für die kleinste Veränderung an dir.“ Leise ergänzte er: „Wenn in dieser Hütte in Oregon etwas zwischen Lucky und dir gewesen wäre, hätte ich es auch gespürt.“
Aber Lucky hatte nur genommen, was Lincoln nicht hatte haben wollen. Als ihm klar wurde, dass es um viel mehr ging als darum, nur zweite Wahl zu sein … machte er alles wieder gut“, flüsterte sie, während Lincoln ihr eine Träne wegwischte. „Kurz vor der Hochzeit erzählte er mir von seiner Krankheit und stellte es mir frei zu gehen. Er machte immer alles wieder gut. Deshalb setzte er auch alles daran, dir deinen Sohn zurückzugeben.“
„Cade ist nicht nur mein Sohn, Lindsey. Er ist unser Sohn. Ob wir zusammenleben oder nicht, ändert daran nichts.“
„Für Cade schon.“
„Der heute nach Hause kommt.“ Weil ihre Freude von Traurigkeit überschattet schien, versuchte Lincoln, Lindsey abzulenken. „Wir müssen Brownie suchen.“
„Du hast ihn aus Belle Rêve zurückgebracht.“ Sie hatte den Hund in der Nacht bellen hören, ihn dann aber völlig vergessen.
„Wir nehmen ihn mit, wenn wir Cade abholen. Darüber freuen sich sicher beide, meinst du nicht?“
„Bestimmt.“ Eine kleine Geste, die Lindsey rührte. Lincoln war ein wunderbarer Vater. Lucky hatte richtig entschieden, den Jungen mit ihm zusammenzubringen.
„He, mach doch kein so ernstes Gesicht. Ab heute fangen wir von vorn an. Wir werden einen Weg finden und tun, was das Beste für Cade ist.“ Übrigens, hast du schon mal im Regen getanzt?“
Lindsey warf Lincoln einen verständnislosen Blick zu.
„Nein?“ Grinsend ergriff er ihre Hand. Es war genau dieses freche Grinsen, in das sie sich vor Jahren verliebt hatte.
„Noch nie.“
„Dann, meine Liebe“, lachte er und zog sie ins Freie, „wird es höchste Zeit, dass du es ausprobierst.“
10. KAPITEL
Cade lachte, und Brownie bellte wie von Sinnen. Ein kleiner Junge und sein Hund, die glücklich miteinander die Welt erkundeten. Lindsey hielt mit ihrer Arbeit im Blumengarten inne und lauschte.
Noch vor Kurzem hatte sie befürchtet, es würde lange dauern, bis sie ihren Sohn wieder herzlich lachen hören würde. Doch sie hatte Cades Willen, schnell gesund zu werden, unterschätzt und auch Lincolns Einfluss auf ihn. Jeden Tag schien Cade ein bisschen mehr dem Mann nacheifern zu wollen, der der Mittelpunkt seines Lebens geworden war. Also verhielt er sich so, wie sich seiner Meinung nach Lincoln mit
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