Julia Collection Band 57
einem gebrochenen Bein verhalten hätte, und machte das Beste aus seiner Lage.
Lindsey sah zu, wie Cade mit seinem neuen Gehgips über den Hofplatz humpelte. Mit seinem Helden als Vorbild hatte er sich in all den Wochen, in denen er die schwere, sperrige Metallschiene tragen musste, nie beklagt. Der Gehgips, der ihm wenigstens erlaubte, das Knie zu beugen, war daher eine willkommene Abwechslung für ihn.
Nun war er also mit Brownie dabei, die Umgebung neu zu erkunden, sogar den Bach. Das hatte Lindsey zunächst beunruhigt, doch dann hatte sie sich ins Gedächtnis gerufen, dass die vier Cades sorgfältig das Ufer nach weiteren möglichen Gefahren abgesucht hatten. Deshalb hatte sie Cade auch nicht ermahnt, vorsichtig zu sein. An diesem besonderen Tag wollte sie ihn nicht an seinen Unfall erinnern.
Es hatte Wochen gedauert, bis seine Wunde verheilt war und die Schiene abgenommen werden konnte. Der Gehgips war zwar auch hinderlich, aber er verschaffte Cade deutlich mehr Bewegungsfreiheit. Als sie ihn am Vorabend zu Bett gebracht hatte, hatte sie von ihm zum ersten Mal den Wahlspruch der Cades gehört, und wusste, er würde nicht der Letzte sein, der die Weisheit beherzigte: „Mach das Beste aus der Situation.“
Tut das Lincoln momentan auch? dachte Lindsey. Er hatte sich als fürsorglicher Vater erwiesen und als zärtlicher, aufmerksamer Liebhaber. Aber würde das von Dauer sein? Lindsey wusste es nicht. Sie machte schon seit Langem keine Pläne für die Zukunft mehr.
Wie könnte sie an einem Mann etwas auszusetzen haben, der Tag und Nacht für sie und Cade da war? Eine Woche nach Cades Entlassung aus dem Krankenhaus hatte Lincoln die Arbeit in seiner Tierarztpraxis wieder aufgenommen. Seitdem war er voll ausgelastet, denn zusätzlich half er ja auch auf der Plantage seines Vaters. Ein Wahnsinnspensum, aber Lincoln beklagte sich nie.
Lindsey war ziemlich ratlos. Auch wenn Lincoln sie ein paarmal leidenschaftlich in der Kammer in der Scheune geliebt hatte, während Cade im Haus tief und fest schlief, hatte sie immer noch keine Ahnung, wohin das alles führen sollte.
Doch wenn er sie mit zärtlichen Küssen und kühnen Liebkosungen lockte, konnte sie ihm einfach nicht widerstehen. Ihre anfängliche Sorge, sie könne Cade nicht rufen hören, falls er sie brauche, zerstreute er, indem er kurzerhand eine Sprechanlage zwischen Cades Zimmer und der Scheune installierte.
Cade war begeistert. Lincoln ermunterte ihn, jederzeit mit ihm zu sprechen. Und Lindsey hatte ihn tatsächlich abends des Öfteren leise mit dem Mann reden hören, den er so sehr bewunderte.
Es war eine für Lincoln typische Geste. Eine weitere Liebenswürdigkeit, die sie, Lindsey, noch mehr in seinen Bann zog.
Lincoln war zärtlich und aufmerksam. Er verführte und verhexte sie, betörte sie immer wieder mit Küssen und sanften Liebesworten. Und jedes Mal war es wie das allererste Mal. Obwohl er ihren Körper längst genau kannte und wusste, wie sie auf seine Liebkosungen reagierte, war es jedes Mal anders und immer ein einziger Rausch der Sinne.
Lincoln war ihr Freund, ihr Ratgeber, ihr Beschützer, die Familie, die sie nie gehabt hatte. Er war stark und weich zugleich. Er hatte Kraft und Grazie, war wie Feuer und Eis, Blitz und Donner. Nach ihrer Liebesnacht in der Schwüle eines Sommersturms war er im Morgenregen mit ihr über die Lichtung getanzt und hatte sie glauben gemacht, sie sei schön.
Während Lindsey im sonnigen, nach frischer Erde duftenden Garten kniete, brauchte sie nur die Augen zu schließen, und sie sah augenblicklich Lincoln in der dämmrigen Scheune vor sich. Seinen schlanken Körper, seine geschmeidigen Muskeln. Sie erinnerte sich, wie er duftete, sich anfühlte, wie er lustvoll seufzte und stöhnte.
Wenn sie mit ihm zusammen war, erkannte sie sich nicht wieder. Diese zügellose Frau, die Dinge fühlte und Dinge tat, für die weder Lindsey Blair noch Lindsey Stuart je den Mut gehabt hätten. Alles für Lincoln …
„Mom?“
Aus ihren Fantasien gerissen, öffnete Lindsey die Augen.
„Mom, bist du okay?“ Cade stand an der Gartentür, neben ihm, wie immer, Brownie.
„Natürlich. Ich hab nur ein bisschen ausgeruht.“ Sie lächelte Cade an. „Und du? Unternimmst du was Schönes mit Brownie?“
„Klar. Aber ich hab ein Problem. Ein ganz, ganz großes.“
Lindsey war sofort alarmiert und eilte zur Gartenpforte. „Bist du gefallen? Hast du dir dein Bein verletzt?“
„Nein, Mom.“ Cade ließ den Kopf hängen.
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