Julia Collection Band 61 (German Edition)
Merrill Davis-Ross war ihm ein paar Erklärungen schuldig. Und sosehr sie sich auch drehen und wenden mochte, ihre Lügen konnten mit nichts entschuldigt werden.
Tyson zitterte vor Wut. Er konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als belogen zu werden. Und das würde er ihr unmissverständlich klarmachen. Dann würde er sie zurückschicken in ihr künstliches, billiges Leben in der Welt der Mode mit ihren Pseudoberühmtheiten.
12. KAPITEL
Merri versuchte die quälenden Ahnungen von schrecklichen Ereignissen zu unterdrücken, als sie aus der Hintertür in die Sonne hinaustrat. Jeder Stuhl im Saal war besetzt, das bedeutete viel Geld für die Kinder der Nuevos-Dias-Ranch. Und doch empfand sie weder Befriedigung noch Stolz, sondern fühlte sich bedroht, wie schon lange nicht mehr. Ständig verspürte sie den Drang, sich umzusehen, um sich zu vergewissern, dass ihr niemand folgte.
Sie hatte gehört, dass am Haupteingang Reporter warteten, um nach der Veranstaltung Fotos zu machen. Aber sie wusste, wie sie ihnen aus dem Weg gehen konnte. Trotzdem wollte das dumpfe Gefühl eines drohenden Unheils nicht weichen.
Sie hatte schon das letzte Modell für die Modenschau angelegt, ein Nachmittagskleid aus Leinen, und sah sich nach dem kleinen Mädchen um, das mit ihr zusammen den Laufsteg betreten sollte. Soweit sie sich erinnerte, war die Kleine die jüngste Teilnehmerin und erst vier Jahre alt, mit großen Augen und einem süßen Lächeln. Doch sie war nirgends zu sehen. Eine der Betreuerinnen entdeckte Merri und winkte sie zu sich.
„Suchen Sie Lupe? Es tut mir leid, aber wir mussten sie zurück zur Ranch bringen. Sie hatte sich das Kleid schmutzig gemacht und schämte sich.“
„Wie schade“, meinte Merri. „Das war dumm von mir. Ich hätte darauf achten sollen, dass die Kleine nicht so lange warten muss. Hoffentlich war sie nicht zu enttäuscht.“
„Keine Sorge, sie hat auf dem Rückweg ein Eis bekommen, und das hat sie getröstet.“
„Gut.“ Merri ärgerte sich dennoch. Sie hätte dafür sorgen müssen, dass die Kleinsten zuerst drankommen. „Die Show ist beinahe vorbei. Unsere jungen Models essen jetzt gleich zu Mittag, und dann können wir sie zur Ranch zurückbringen.“
Die Betreuerin wollte etwas sagen, hielt dann jedoch inne, und Merri spürte, dass jemand hinter ihr war. Ein unangenehmer Schauer rieselte ihr über den Rücken wie ein kalter Windhauch.
„Sie können doch nicht fahren, bevor nicht die Fotos für die Presse und die Werbebroschüre gemacht sind, Miss Davis-Ross.“
Merri brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass es Tyson war. Aber so verbittert und hart hatte seine Stimme noch nie geklungen.
Und er hatte sie mit Davis-Ross angesprochen. Nun war es also passiert.
Langsam drehte sie sich zu ihm um. „Ty …“
„Lassen Sie uns bitte einen Moment allein“, forderte Tyson die Betreuerin auf. Die sympathische junge Frau warf beiden noch einen erschreckten Blick zu und entfernte sich.
„Du weißt es also“, sagte Merri leise. Das Herz wurde ihr schwer.
Tyson fuhr sich mit beiden Händen durch das kurze Haar. „Du hast doch wohl nicht angenommen, dass du mich bis in alle Ewigkeit hinters Licht führen kannst, oder? Ich bin kein kompletter Dorftrottel, auch wenn ich auf dem Land lebe.“
Seine Stimme klang merkwürdig tonlos, und der Ausdruck seiner Augen war erschreckend kalt. Merri hatte Tyson noch nie so erlebt. Wenn er sie sonst ansah, war immer ein erotisches Glitzern in seinen stahlblauen Augen zu erkennen gewesen. Davon konnte jetzt nicht die Rede sein.
„Es tut mir so leid. Ich wollte es dir heute Morgen sagen, bevor du es auf andere Weise erfährst.“
„Ach, vielen Dank“, sagte er zuckersüß und sarkastisch, „wie lieb von dir, dass du dir solche Gedanken um mich machst.“
„Ty, bitte …“
„Verflucht noch mal, du hast mich belogen! Und nicht nur mich, sondern auch Jewel und alle, die du hier durch deine Arbeit kennengelernt hast. Warum? Was war der Grund? Hast du Spaß daran gehabt, dass wir alle auf dich hereingefallen sind? Geht es hier um einen billigen Reklametrick?“
Merri straffte ihre Schultern und atmete tief durch. „Auf keinen Fall, so etwas darfst du nicht denken. Ich wollte mit meinem Untertauchen hier genau das Gegenteil erreichen.“ Sie schwieg kurz, um sich zu sammeln. „Anfangs wollte ich nur meinem leeren, oberflächlichen Leben entkommen. Ich wollte mich irgendwo zu Hause fühlen und sehnte mich danach, endlich etwas
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