Julia Collection Band 61 (German Edition)
weshalb er damals die Stadt verlassen hat, auch alles Lügen waren. Warum sollte also jetzt etwas Wahres an dem Gerede sein?“
Shelby wischte ihrer Tochter das Kinn ab. „Du hast mir nie erzählt, was wirklich in jener Nacht geschehen ist.“
„Es war eine schreckliche Nacht. Ich hätte alles dafür gegeben, wenn du in jenem Sommer nicht bei deiner Großmutter in Neuengland gewesen wärst, sondern mir darüber hinweggeholfen hättest.“ Kate hatte den Appetit verloren und schob den Teller von sich.
Shelby lachte und runzelte dann die Stirn. „Ich vermute, ich habe meine Chance für immer verpasst. Selbst nach zehn Jahren willst du noch nicht darüber sprechen, oder?“
„Nein. Aber ich kann dir sagen, dass diese Geschichte, wonach Chase betrunken gewesen und ausgerastet sein soll, eine Lüge war. Er war völlig nüchtern, und dieser Streit mit Justin-Roy und den anderen Jungs wurde ihm aufgezwungen.“
„Ich kannte Chase damals nicht so gut wie du“, sagte Shelby ruhig, „aber ich habe nie geglaubt, dass er zu viel getrunken hatte. Er hasste es viel zu sehr, dass sein Vater ständig betrunken war.“
Tränen brannten in Kates Augen. „Shelby, du bist meine beste Freundin. Du weißt, dass ich dich und Madeleine liebe, oder?“
„Natürlich weiß ich das, Liebes. Ich weiß, du liebst uns und diese alte abgewirtschaftete Plantage und natürlich diese Stadt … und Chase Severin.“
Als Kate protestieren wollte, ließ Shelby ihren Löffel fallen und nahm ihre Freundin in die Arme. „Wir lieben dich auch. Und Madeleine und ich wissen es wirklich zu schätzen, dass du uns aufgenommen hast und mich, statt Miete von mir zu verlangen, für dich putzen und kochen lässt. Du bist unsere Lebensretterin.“
Kate schluckte und brachte die Worte, die sie eigentlich sagen wollte, nicht über die Lippen. Sie konnte ihrer Freundin einfach nicht sagen, dass ihre Tage in Live Oak Hall gezählt waren.
Vielleicht sollte sie zu Chase gehen. Wenn sie ihn bat, Shelby und ihre Tochter bleiben zu lassen, würde er vielleicht zustimmen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie einen Kniefall vor jemandem machen würde.
Sie konnte nur hoffen, dass sie diesmal mehr Erfolg damit haben würde.
Chase nahm den Kaffeebecher und ging hinaus auf die Terrasse der Pension, um die Blitze am abendlichen Himmel zu beobachten. Er liebte den Geruch der frischen Erde nach einem Regenschauer.
Es war lange her, dass er so frische Nachtluft eingeatmet und den Geräuschen der Tiere in den Sümpfen gelauscht hatte.
Noch einmal ließ er den Tag Revue passieren, seine Heimkehr nach Bayou City, die neugierigen und überraschten Blicke der Einwohner, als er mit seinem Jaguar die Hauptstraße entlanggefahren war.
Er wusste, dass es sich wie ein Lauffeuer im Ort verbreitet hatte. Der Junge, der nie etwas wert gewesen war, kehrte als reicher Mann zurück. Automatisch schob er eine Hand in die Tasche seines Blazers, um einen Zigarillo herauszuholen.
Statt der Zigarren ertastete er das antike, mit Juwelen besetzte Ei. Er hatte sich angewöhnt, es bei sich zu tragen. Bei dem Gedanken, dass er etwas so Wertvolles und Altes besaß, musste er lächeln. Vermutlich wären die meisten Einwohner dieser Stadt nicht einmal in der Lage, die Versicherungsprämie für diese Kostbarkeit aufzubringen.
Eine unerwartete Wärme ging von dem Kunstwerk aus und erinnerte Chase daran, dass die Roma behauptet hatte, dieses Ei besäße magische Kräfte. Er zog seine Hand zurück und schüttelte den Kopf. Er brauchte weder Magie noch Nikotin, um der Vergangenheit zu begegnen.
Dieses Mal war es sein Spiel, und er hatte ein Royal Flush in der Hand.
Dass Kates Schicksal ebenfalls in seiner Hand lag, erhöhte den Reiz und machte ihn äußerst glücklich.
Als der Privatdetektiv, den er damit beauftragt hatte, herauszufinden, was sich in der Stadt getan hatte, seit er sie verlassen hatte, herausfand, dass ihr Vater inzwischen an Krebs gestorben war, war er enttäuscht gewesen. Es war zu spät. Er hatte sich zu spät entschieden zurückzukehren und an dem alten Beltrane und dem Rest der Stadt Rache zu nehmen.
Doch dann hatte er vom Bankrott der Mühle erfahren und entschieden, dass der Zeitpunkt für seine Rache gar nicht besser hätte sein können. Nun bot sich ihm die perfekte Möglichkeit, sie alle zu ruinieren.
„Chase?“
Einen kurzen Augenblick war er überzeugt, sich die Stimme nur eingebildet zu haben, wähnte sich in Erinnerungen, die ihn seit Jahren nachts
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