Julia Collection Band 61 (German Edition)
fand sie es aufregend und schön, Mutter zu werden. Auch sie hatte als Kind davon geträumt – wie wohl jedes kleine Mädchen. Sie hing sehr an ihren Nichten und Neffen und hütete diese mit Begeisterung ein, wenn sie in Boston war. Ein Baby im Arm zu halten, hatte in ihr immer den Wunsch geweckt, auch so ein kleines Wesen zu haben, und im Geheimen hatte sie ihre Schwestern beneidet.
Andererseits hatte sie Angst vor der gnadenlosen Reaktion der Gesellschaft auf eine unverheiratete Mutter. Sie seufzte. Momentan verlief ihr Leben nicht gerade wie im Märchen.
Sie konnte sich nicht vorstellen, wie Nick reagierte, wenn er den ersten Schock überwunden hatte und begriff, was sie ihm gesagt hatte. Würde er an dem Leben seines Kindes teilhaben wollen? Oder würde er am liebsten nicht an seinen Fehltritt erinnert werden wollen und sie und ihr Kind ans andere Ende der Welt wünschen?
In Gedanken versunken, schlenderte Annie auf das kleine Haus am Pool zu, in dem sie jetzt wohnte, und musste feststellen, dass Mrs Scoville auf der Terrasse stand und sie beobachtete. Vermutlich hatte Nicks Mutter gehört, was eigentlich nur für seine Ohren bestimmt gewesen war. Vermutlich war sie entsetzt oder zumindest peinlich berührt, dass ihr Sohn eine Affäre mit einer Angestellten hatte. Sich mit ihr auseinandersetzen zu müssen, das war das Letzte, was Annie an diesem Abend gebrauchen konnte. Andererseits war Mrs Scoville immer sehr nett zu ihr gewesen.
Langsam stieg Annie die Stufen zur Terrasse hinauf. Sie konnte nur hoffen, dass Mrs Scoville genügend Selbstdisziplin hatte, um keinen Streit anzufangen. Sicher ging sie davon aus, dass sie, Annie, ihren Sohn verführt hatte.
„Sie sahen so traurig und einsam aus, wie Sie da ganz allein am Wasser standen“, sagte Elizabeth und streckte ihr die Arme entgegen. „Wollen Sie nicht eine Tasse Tee mit mir trinken? Bitte. Ich möchte so gern, dass Sie sich mir anvertrauen. Ich möchte Ihnen helfen.“ Sie legte Annie einen Arm um die Schultern und führte sie ins Haus.
Annie atmete auf. Genau das hätte sie sich von ihrer Mutter gewünscht. Verständnis, Zuneigung, Wärme.
Aber Maeve Mary Margaret O’Brien Riley würde sie nun sicher verachten und am liebsten in das nächste Kloster verfrachten. Diesen Trost, den sie bei Mrs Scoville schon in einer einfachen Geste fand, würde ihr die eigene Mutter nie spenden können. Und keine ihrer Schwestern würde es wagen, sich gegen ihre Mutter aufzulehnen.
Annie schwor sich, ihrer Familie erst nach der Geburt von dem Kind zu erzählen.
Als sie das Haus betrat, bemerkte sie, dass auf dem kleinen Teewagen schon alles bereitstand: Teekanne, Milchkännchen und eine Platte mit kleinen Schnitten. Das sah so einladend aus, dass sie fast in Tränen ausgebrochen wäre.
„Setzen Sie sich, mein liebes Kind“, sagte Elizabeth. „Oder wäre es Ihnen angenehmer, vor dem Tee noch zu duschen?“
Mrs Scoville war so sehr um ihr Wohl besorgt, dass sofort jegliche Spannung von Annie abfiel. So etwas hatte sie nicht zu hoffen gewagt, und sie fühlte sich sicher und geborgen, was sie sich vor wenigen Minuten noch nicht hatte vorstellen können. „Nein, ich möchte lieber erst etwas essen. Ich habe mein Frühstück nicht bei mir behalten können und hatte heute kein Mittag.“
„Aber selbstverständlich. Bitte setzen Sie sich doch. Ich schenke den Tee ein.“ Elizabeth achtete darauf, dass Annie hatte, was sie brauchte. Erst dann setzte sie sich neben sie.
Annie war geradezu ausgehungert und aß hastig einige der delikaten Schnittchen. Dann trank sie eine Tasse süßen Milchtee und lehnte sich aufatmend zurück.
„Ich möchte mich für das Verhalten meines Sohnes entschuldigen“, begann Elizabeth das Gespräch. „Zu seiner Verteidigung kann ich nur vorbringen, dass das Ganze für ihn ein ebenso großer Schock war wie für Sie. Aber ich bin sicher, dass er zur Vernunft kommen und Ihnen beistehen wird. Im Grunde seines Herzens ist er ein anständiger Mensch.“
„Das weiß ich doch.“ Annie hatte nie ernsthaft daran gezweifelt, dass Nick das tun würde, was er als seine Pflicht ansah. Nur in der ersten Panik hatte sie schwarz gesehen.
Elizabeth lächelte erfreut. „Haben Sie …“, sie zögerte, „… haben Sie über Ihre Möglichkeiten nachgedacht?“
Möglichkeiten? „Meinen Sie meinen künftigen Wohnort? Nein. Ich wollte eigentlich abwarten und sehen, was Nick meint. Wenn es möglich ist, will ich mich nach seinen Wünschen
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