Julia Collection Band 62
zuhörte. Nur einzelne Wörter drangen in ihr Bewusstsein.
„… Notar als Zeuge … die Entwicklung jeder Ehe live im Kabelfernsehen … das letzte Paar, das übrig bleibt … die Gewinner bekommen alles.“
Die Kameras waren noch näher an sie herangerückt, und die Lichter schienen noch greller geworden zu sein. Eine Spiegelkugel über ihrem Kopf sandte kleine weiße Streifen über das Gesicht des schwarzäugigen Fremden neben ihr. Eine romantische Melodie schwebte durch den Raum und brach dann unvermittelt ab.
„Nimmst du, Grayson James McCall, die hier anwesende Jillian Anne Chaloner Brown zu deiner rechtmäßig angetrauten Ehefrau …?“
Grayson McCall. Das war sein Name. Sie schaute zu ihm auf. Ihre Blicke begegneten sich und versenkten sich ineinander.
Und obwohl sie wusste, dass es sich um eine gänzlich bedeutungslose Charade, eine Farce handelte, wurde sie von der Magie des Augenblicks gefesselt. Wie musste es sich anfühlen, wenn ein solcher Mann solche Worte nicht als Teil einer sensationslüsternen Fernsehshow zu ihr sprach, sondern aufgrund echter Gefühle?
„Ich will“, sagte er.
Seine Stimme war tief, und sein Blick verließ ihr Gesicht nicht für eine Sekunde. Es war ein Moment, den sie niemals vergessen würde.
1. KAPITEL
Sam schien krank zu werden.
Jill hatte schon vor ein paar Stunden zum ersten Mal den Verdacht gehabt, kurz bevor der billige Leihwagen, den sie gestern gemietet hatte, etwa eine halbe Meile vor Blue Rock den Geist aufgegeben hatte. Jetzt, mit Sam und ihr selbst als Beifahrer in einem anderen Auto, war sie sich sicher.
„Du hast die Geschichte nicht zu Ende erzählt, Mommy“, weinte ihr Sohn.
Sam weinte nie. Es sei denn, er war krank.
Jill befühlte seine Stirn – sie glühte. „Doch, das habe ich, Schätzchen“, tröstete sie ihn, während sie ihm den Arm um die kleinen Schultern legte und ihn näher an sich zog.
„Nein, hast du nicht“, widersprach er mit erhobener Stimme. „Du hast die Sache mit dem ‚Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende‘ vergessen.“
Nun, da hatte er recht. Das hatte sie in der Tat nicht gesagt, und jeder wusste, dass jedes gute Märchen so endete.
Sie seufzte.
Das Problem bestand darin, dass die Geschichte, die sie ihrem Sohn in der letzten Viertelstunde erzählt hatte, kein Märchen war. Es handelte sich vielmehr um ihren unbeholfenen Versuch, einem vierjährigen, vaterlosen Jungen zu erklären, warum sie den ganzen Weg von Pennsylvania nach Montana zurückgelegt hatten.
Sam liebte Züge. Während der kompletten Bahnfahrt hatte er nicht eine einzige Frage gestellt. Doch dann waren sie in Trilby ausgestiegen, hatten ein Wrack von einem Auto gemietet, eine schlaflose Nacht in einem lauten, billigen Motel verbracht und es heute Morgen gerade mal bis Blue Rock geschafft.
Der Wagen war vor über zwei Stunden mit lautem Getöse und dickem Qualm zusammengebrochen. Kein Happy End in dieser Hinsicht. Gelangweilt, übermüdet und auf dem besten Wege, krank zu werden, hatte Sam schließlich gefragt: „Warum machen wir das überhaupt?“
Jill seufzte noch einmal.
Vielleicht hätte sie ihre Geschichte nicht so aufmunternd und beruhigend klingen lassen sollen. Kein Wunder, dass ihr Sohn ein Märchenende erwartete. Sie hatte ihm von den pinkfarbenen Lichtern und dem Brautkleid aus Seide erzählt, von der Cinderella auf Schlittschuhen und dem gut aussehenden Prinzen mit dem Cowboyhut, der sie von diesem Albtraum eines Balls entführt hatte …
„Sieht so aus, als wenn das da hinten auf dem Pferd Grayson wäre“, meinte der Mann mit der Glatze, der hinter dem Steuer des lauten Cadillacs saß. Für den Wagen eines Kfz-Mechanikers klang das Motorengeräusch äußerst bedenklich. „Ich fahr mal rechts ran.“
„Ich …“, begann Jill, bremste sich dann jedoch.
Von Anfang an war ihr Ron Thurell, der Besitzer von Blue Rocks einziger Tankstelle und Autowerkstatt, nicht besonders sympathisch gewesen. Scheinbar war er zudem auch der lokale Vertreter der Triple Star Versicherung und zweier Autovermietungen.
Dabei hatte er ihr sofort angeboten, sie und Sam die restlichen vierundzwanzig Meilen zu Grayson McCalls abgeschiedener Ranch zu fahren. Er hatte ihr außerdem versprochen, sich um ihren Leihwagen zu kümmern und ihr ein anderes Fahrzeug zur Verfügung zu stellen, sobald sie es brauchte. Er war ganz sicher hilfsbereit gewesen, dennoch hatte sie ihn nicht gemocht, und noch viel weniger wollte sie zugeben, dass Gray keine
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