Julia Exklusiv 0227
Stunden war sie völlig beherrscht gewesen und hatte sich unter Kontrolle gehabt. Und jetzt lief sie kopflos durch die Gegend. So konnte es einfach nicht weitergehen, irgendetwas musste geschehen.
Als Kate die Wohnungstür aufschloss, fiel ihr auf, wie still es war. Die Tür zu Ryans Arbeitszimmer war zu. Offenbar arbeitete er.
Normalerweise wäre Kate nicht zu ihm gegangen, um ihn zu begrüßen. Aber zu viel hatte sich geändert, nichts war mehr normal. Sie legte die Hand auf die Klinke – und zögerte plötzlich, denn sie hörte ihn sprechen.
Er telefonierte und redete nicht besonders laut. Doch da die Tür nicht schalldicht verkleidet war und Kate unmittelbar davor stand, konnte sie jedes Wort verstehen.
„Nein“, sagte er laut und deutlich und so, als wollte er seinen Gesprächspartner beruhigen. „Sie hat keine Ahnung, ich schwöre es.“ Sekundenlang schwieg er und fuhr dann fort: „Ja, natürlich ist es nur eine Frage der Zeit, dass sie es merkt. Sobald es soweit ist, sehen wir weiter. Mach dir keine Sorgen. Es ist mein Problem. Bis bald, Liebes.“ Dann legte er auf.
Mit der Hand auf dem Türgriff stand Kate wie erstarrt da. Ich habe gelauscht, dachte sie wie betäubt. Und wie lautete das Sprichwort? Der Lauscher an der Wand hört seine eigene Schand. Und wie in so vielen Sprichwörtern steckte auch darin ein Körnchen Wahrheit.
Am liebsten hätte sie die Tür aufgerissen, geschrien und getobt und auf Ryan mit den Fäusten eingeschlagen. Sie tat jedoch nichts dergleichen, sondern klopfte an und wartete.
Ryan öffnete die Tür und musterte Kate, wobei er die Augenbrauen zusammenzog.
„Hoffentlich ist es wichtig“, sagte er höflich, aber kühl.
So wichtig wie deine Unterhaltung am Telefon? hätte sie ihm allzu gern an den Kopf geworfen. Aber sie schluckte nur, während sie nach Worten suchte. Plötzlich wurde ihr übel.
„Kate.“ Ryans Stimme klang leicht ungeduldig. „Was ist los? Hast du etwas?“
Das war genau der richtige Augenblick, das Versteckspiel zu beenden. Jetzt war der Moment gekommen, wo sie ihm erklären musste, dass sie alles wusste. Ich weiß, dass du eine andere liebst, und es bringt mich beinah um – das wären die richtigen Worte, dachte sie.
Aber stattdessen erwiderte sie heiser: „Ich glaube … ich muss mich übergeben.“
Sie presste sich die Hand auf den Mund und eilte ins Badezimmer. Die nächsten zehn Minuten waren fürchterlich. Danach war sie völlig erschöpft und ihr war schwindlig.
Dass Ryan ihr gefolgt war, merkte sie erst, als er sich neben sie kniete und ihren Kopf an seine Schulter legte, während er ihr Gesicht mit einem nassen Waschlappen abwusch.
„Danke“, brachte sie mühsam hervor.
„Sei ganz ruhig“, forderte er sie sanft auf. „Du brauchst dich nicht zu bedanken.“ Dann half er ihr, sich aufzurichten, und führte sie aus dem Bad.
Im Schlafzimmer setzte er sie aufs Bett und zog ihr die Schuhe aus. Als er ihr behutsam die Bluse aufknöpfte, wurde Kate bewusst, wie wenig sie ihn als Frau interessierte. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie konnte das alles kaum noch ertragen und hatte das Gefühl, ein Albtraum würde Wirklichkeit.
„Ich komme allein zurecht“, erklärte sie leise, um ihren Stolz zu retten.
„Das glaube ich dir. Ich helfe dir aber trotzdem.“
Er behandelte sie wie ein Kind. Nachdem er ihr das Nachthemd übergezogen hatte, schlug er die Decke zurück und legte Kate ins Bett.
„Es gibt keinen Grund zu weinen“, sagte er.
Ach nein, wirklich nicht? dachte sie. „Ich weiß“, antwortete sie jedoch nur und nahm sich ein Papiertaschentuch vom Nachttisch. „Aber ich hasse es, mich übergeben zu müssen. Das ist alles.“
„Ah ja.“ Sekundenlang schwieg er. „Ich rufe meine Mutter an und erkundige mich, ob noch jemand krank ist“, erklärte er dann.
„O nein.“ Kate hielt ihn am Ärmel fest. „Ich bin ganz sicher, es hat nichts mit dem Essen zu tun. Ich meine … dir geht es doch gut. Den ganzen Tag war mir schon übel.“
Er zog die Augenbrauen hoch. „Bist du deshalb früher nach Hause gekommen?“
„Ja, auch.“ Sie blickte ihn nicht an.
„Ich war überrascht.“
Für mich war es auch eine Überraschung, es wimmelt nur so von Überraschungen in der letzten Zeit, ging es ihr durch den Kopf. Sie atmete tief ein. „Schade, dass es für uns beide nicht besonders angenehm war.“
Wieder schwieg er eine Zeit lang, ehe er sie fragte: „Möchtest du einen Brandy?“
Kate schüttelte den Kopf.
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