Julia Exklusiv 0227
wenn er sich zwei oder drei Tage in der Woche in Santiago aufhielt, hatte er ihr nie verraten. Es hatte Gerüchte gegeben, er habe dort eine Geliebte. Aber das hatte Julia wenig interessiert. Sie war zu sehr mit all dem Neuen, was sie hier entdeckte, und mit ihrer eigenen Liebesbeziehung beschäftigt gewesen. Erst nachdem sie mit gebrochenem Herzen nach England zurückgekehrt war, hatte ihre Mutter ihr mehr über ihre Ehe erzählt. Danach war Julia bewusst geworden, wie sehr ihr Vater sie manipuliert hatte.
Von ganzem Herzen wünschte sie, sie könnte noch ein einziges Mal mit ihm reden. Aber als sie dazu noch Zeit gehabt hätte, hatte sie sich anders entschieden und war bei ihrer kranken Mutter geblieben.
Julia legte die Blumen auf das Grab. „Jetzt verstehst du alles, Dad. Verzeih mir“, flüsterte sie. Noch ganz in Erinnerungen versunken blickte sie sich schließlich langsam um, ohne etwas wahrzunehmen.
Verdammt, sie weint, dachte Randolfo. Er hasste es, wenn Frauen weinten, weil er nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete er Julias blasses Gesicht. Eine weinende Frau war normalerweise kein schöner Anblick. Aber er hätte sich denken können, dass Julia sogar dann noch schön war, wenn ihr Tränen über die Wangen rannen.
Julia merkte nicht, dass Randolfo sie beobachtete. Sie atmete tief ein und aus und betrachtete gedankenverloren die Grabstätte der Familie Diez. Schließlich seufzte sie, wischte die Tränen weg und hob den Kopf. Dann ließ sie den Blick über das Land jenseits des Grabes schweifen.
Randolfo spürte, dass sie gehen wollte, und kam mit den Pferden näher. Plötzlich wurde sie sich seiner Nähe bewusst. Sie straffte die Schultern und sah ihn an.
„Eine Epoche ist zu Ende gegangen. Was wird aus der Hazienda?“, fragte sie.
Er zuckte die Schultern. „Das ist noch nicht geklärt. Doch wir sollten am Grab deines Vaters nicht darüber reden, wie sein Vermögen aufgeteilt wird. Das gehört sich nicht. Darüber unterhalten wir uns später im Haus.“ Mit beiden Händen umfasste er ihre schmale Taille und hob Julia auf Pollys Rücken. „So viel Respekt bist du deinem Vater schuldig“, fügte er ironisch hinzu.
Julia errötete und wandte sich schnell ab. Sie hatte aus reinem Interesse gefragt und nicht aus den Gründen, die er ihr unterstellte. Sie fühlte sich jedoch momentan zu verletzlich, um sich zu wehren. Deshalb ignorierte sie die beleidigende Bemerkung und spornte das Pferd an.
Randolfo folgte ihr auf seinem schwarzen Hengst. Er ließ den Blick über ihre schmalen Schultern und den geraden Rücken gleiten. Wenn sie sich nicht entspannte, würde sie noch vom Pferd fallen. Und das wäre seine Schuld, wie er sich eingestand. Er konnte nichts dafür, dass er von Natur aus so zynisch war. Aber er hätte sich die ironischen Bemerkungen verkneifen können, wie er sich eingestand.
„Julia, es tut mir leid“, entschuldigte er sich deshalb. „Ich weiß, dass du dich ärgerst.“
„Vergiss es.“ Auf einmal war ihr der Mund ganz trocken, und sie hielt die Zügel krampfhaft fest. Sobald ich zu Hause bin, ist für mich die Welt wieder in Ordnung, dachte sie.
Normalerweise war sie kühl, ruhig und beherrscht. Noch nie zuvor hatte ein Mann so erotische Gefühle in ihr geweckt wie Randolfo. Offenbar kamen die Erbanlagen ihres Vaters zum Vorschein, wenn sie in Chile war. Als sie ihren Vater zum ersten Mal besucht hatte, hatte sie sich in Enrique verliebt. Und jetzt passierte ihr so etwas wieder, denn Randolfo Carducci war ihr nicht gleichgültig. Ihr war jedoch klar, dass es wenig mit Liebe, sondern eher etwas mit Verlangen oder Lust zu tun hatte.
„Du bist viel zu verkrampft. Es gibt keinen Grund, beunruhigt zu sein.“
Er hat ja keine Ahnung, sagte sie sich und seufzte. Dann bemühte sie sich, sich zu entspannen, ehe sie Randolfo ansah. „Ich bin nicht beunruhigt“, entgegnete sie ruhig. Nur ungern gestand sie sich ein, dass sie diesem attraktiven Mann mit der überwältigenden Ausstrahlung nicht gewachsen war. Der Tod ihres Vaters, die Krankheit ihrer Mutter, die finanzielle Situation und die beunruhigenden Gefühle, die Randolfo in ihr weckte, das alles war ihr plötzlich zu viel. Sie hatte keine Energie mehr.
„Aber du bist müde und erschöpft nach dem langen Tag“, erklärte er, während sie in den Hof ritten, wo Sanchez sie erwartete. „Kümmern Sie sich bitte um die Pferde, Sanchez“, bat Randolfo ihn und saß ab. „Miss Julia
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