Julia Exklusiv Band 0194
Anita, „wenn ein Sturm aufkommt?“
„Man hat Angst, doch ein wenig lockt auch das Abenteuer. Und dann ist man sehr glücklich, dass man lebt, wenn das Schlimmste vorbei ist“, berichtete Talgarth.
„Sie meinen also, dass man erst nach überstandener Gefahr und großer Traurigkeit das Leben richtig schätzen lernt?“
„Genau. So wie man zum Beispiel erst die richtige große Liebe erlebt, wenn es vorher eine andere, weniger tiefe Liebe gegeben hat. Eine Liebe, die den Himmel ahnen lässt, ohne dass er sich öffnet.“
Anita blickte weg. Sie wollte darüber nichts mehr von ihm hören. Schnell rannte sie die letzten Stufen hinunter. Sie durchquerte die Wohnhalle und lief in ihr Zimmer.
Der Sturm war zum Orkan geworden, als sich Anita und Kim zum Abendessen trafen. Eduard war nicht bei Tisch, und Jancey sah grimmig aus, als sie den Nachtisch servierte.
Anita und Kim blieben noch ein wenig im Salon sitzen, doch die Windböen machten sie nervös.
„Komm, lass uns zu Bett gehen“, schlug Anita vor.
Gehorsam kam Kim mit. Sie gingen durch die Halle. Die Tür zu Eduards Zimmer war geschlossen, und auch Medevil war nirgends zu entdecken. Eine Uhr schlug zehn. Keine Nacht, in der man im Moor oder am Meer sein sollte.
Anita schlief unruhig. Plötzlich erwachte sie, als ihre Tür aufgerissen wurde.
„Anita, bist du wach?“ Kim stand atemlos in ihrem Zimmer. „Jancey sagte, ein Schiff sei auf die Klippen aufgelaufen. Ich habe das Krachen gehört. Eduard und Medevil sind zum Strand gegangen, um zu helfen. Ist das nicht entsetzlich, Menschen könnten ertrinken.“
Anita sprang sofort aus dem Bett und suchte ihre Kleider.
„Komm, Kim, zieh dich an, wir gehen hinunter. Der Sturm hört sich schlimm an. Möglicherweise bringt man Schiffbrüchige ins Schloss. Wir werden Jancey helfen, Betten vorzubereiten, Tee und Sandwiches anzurichten.“
Jancey begrüßte Anita und Kim dankbar in der Küche. Sie gab ruhige, gut überlegte Anweisungen. Als Tochter eines Fischers war sie an solche Unglücks-Situationen gewöhnt. Wenn die See hochging, berichtete sie, konnte ein Schiff in wenigen Minuten kentern. Doch die Männer von der Seenotstation würden ihr Möglichstes tun. Talgarth würde sie führen. Sie waren bestens ausgerüstet und kannten sich mit den gefährlichen Klippen aus.
Gegen Mitternacht war Kim auf dem Sofa im Salon eingeschlafen. Anita und Jancey beschäftigten sich in der Küche. Ein großer Topf mit Suppe brodelte auf dem Feuer, Tee und Kaffee waren bereitgestellt. Der mächtige Küchentisch stand voller Platten mit belegten Broten. In den unteren Räumen waren alle verfügbaren Sofas, Couches und Bettgestelle zum Schlafen hergerichtet worden.
Lange würde es nicht mehr dauern, und die ersten geretteten Passagiere des gestrandeten Schiffes würden ins Schloss gebracht werden.
Die Männer vom Seenotdienst hatten eine Nachricht geschickt, dass es sich um einen Privatdampfer aus Amerika handelte, der an die Klippen geschleudert worden war.
Die Rettungsboote waren ausgefahren, und die Passagiere waren auf dem Weg an Land. Danach würden die Boote ein zweites Mal hinausfahren, um die Schiffsmannschaft aufzunehmen.
Anita und Jancey tauschten besorgte Blicke. Das stark beschädigte Schiff würde sich bei diesem Sturm kaum noch eine Stunde über Wasser halten können. Es konnte gefährlich werden für die Schiffbrüchigen ebenso wie für die Rettungsmannschaft.
„Nehmen Sie eine Tasse Tee, Missie“, forderte Jancey Anita auf, „das erfrischt und beruhigt gleichzeitig.“
Anita trank in hastigen Schlucken und versuchte, ihrer Phantasie nicht allzu freien Lauf zu lassen. Die Vorstellung der von Windböen und Wellen hin und her geschleuderten Boote mit den Menschen darin war entsetzlich.
Eine halbe Stunde später trafen sie ein. Eine verfrorene, zitternde Gruppe von Leuten mit bleichen, vom Schock gezeichneten Gesichtern. Einige hatten ein paar persönliche Gepäckstücke bei sich. Viele weinten, als sie das Schloss erreichten.
Einer nach dem anderen traten sie in die Küche, wo sie von Anita mit warmen Decken, heißem Kaffee, Suppe und tröstenden Worten empfangen wurden. Die Kinder zog sie schnell aus, frottierte sie trocken und brachte sie sofort in die Betten. Dann erhielten sie etwas Warmes zu trinken und etwas zu essen. In der Zwischenzeit hatte Kim ihren Platz bei der Verteilung von Erfrischungen eingenommen.
Nun, nachdem die Menschen in Sicherheit waren, ging ihnen der Mund über. Jeder hatte
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