Julia Exklusiv Band 0194
Dankbarkeit für die Freundlichkeit, mit der sie behandelt wurde, nickte Faye. Es wunderte sie insgeheim, dass niemand sie für ihren Fluchtversuch zu verurteilen schien, der Sharif in ernsthafte Gefahr gebracht hatte.
Prinz Rafi erschien als Erster. Er näherte sich ihr wie ein kleiner Erwachsener mit ausdrucksloser Miene, und sie bemerkte zum ersten Mal seine Ähnlichkeit mit Sharif. „Es tut mir leid, dass ich dich gestern verärgert habe.“
„Das ist schon in Ordnung – solange du nicht wieder so etwas tust.“
Tränen schimmerten in seinen Augen. „Das kann ich gar nicht … Sie sind alle fort. Prinz Sharif hat sie weggeschickt.“
Sie waren die Rafi sklavisch ergebenen Dienstboten, so viel konnte sie sich zusammenreimen, zumal Sharif ihr von seinen Plänen erzählt hatte. Prinz Sharif? Musste der Kleine so seinen Bruder anreden, der alt genug war, um sein Vater zu sein? Herrschten in der königlichen Familie der ibn Zachir so strenge Regeln, dass sich sogar kleine Kinder daran halten mussten? Ja, dachte sie bekümmert, Sharifs unerschütterliche Selbstdisziplin ist der Beweis dafür. Spontan hob Faye Rafi hoch und setzte ihn sich aufs Knie.
„Ich bin ein großer Junge. Große Jungen sitzen nicht auf dem Schoß“, protestierte er mit tränenerstickter Stimme.
„Soll ich dich wieder runterlassen?“, erkundigte sie sich ernst. Sie wollte weder sich noch ihn in Verlegenheit bringen, indem sie etwas Unangemessenes tat.
Plötzlich barg der Junge laut schluchzend sein Gesicht an ihrer Schulter und klammerte sich verzweifelt an sie. Sie wiegte ihn hin und her, bis die Tränenflut versiegt war. Selbst Sharif hatte seinen kleinen Bruder „aufsässig“ genannt – kein ermutigendes Zeichen. An wen konnte das arme Kind sich sonst wenden? Es war nicht seine Schuld, dass man ihn dazu erzogen hatte, sich wie ein kleines Monster aufzuführen, aber Sharif, der mit weitaus strikteren Regeln aufgewachsen war, fiel es offenbar schwer, dies zu begreifen.
„Sie mögen Kinder.“ Mit einem erleichterten Lächeln wandte Shiran sich ab und sprach mit den Dienstboten, die draußen warteten.
Kurz darauf kamen zwei Kindermädchen mit zwei identisch gekleideten Babys herein.
„Basma und Hayat“, verkündete Shiran.
„Zwillinge? Wie alt sind sie denn?“ Faye war hingerissen.
„Neun Monate. Möchten Sie sie aus der Nähe sehen?“
„Sie sind bloß Mädchen“, rief Rafi empört.
Nachdem sie den Jungen neben sich gesetzt hatte, betrachtete Faye die Zwillinge. Die kleinen Mädchen trugen teure lange Kleider aus gerüschtem Satin und bestickte Untergewänder. Wie unpraktisch und unbequem für Babys, überlegte sie mitfühlend. „Basma und Hayat … Das sind hübsche Namen …“
„Ich mag sie nicht“, kreischte Rafi.
„Und ich mag es nicht, wenn man schreit, also bitte benimm dich!“
„Dich mag ich auch nicht!“ Rafi rutschte vom Diwan und rannte hinaus.
Ohne auf ihn zu achten, freundete Faye sich weiter mit den kleinen Mädchen an, die man leicht auseinanderhalten konnte, da sie keine eineiigen Zwillinge waren. Basma war voller Selbstvertrauen und Übermut, ihre Schwester hingegen misstrauisch und scheu.
Irgendwann kehrte Rafi zurück. „Du magst sie lieber als mich.“
„Natürlich nicht“, entgegnete Faye sanft. „Ich mag euch alle.“
„Niemand mag mich“, murmelte er trotzig und trat gegen den Diwan.
Faye blickte in sein mürrisches Gesicht und legte einen Arm um seinen stocksteifen Körper. „Ich schon.“
Spielsachen wurden herbeigeschafft. Rafi war eine echte Plage, weil er Fayes ganze Aufmerksamkeit beanspruchte und schmollte, wenn sie ihm nicht zuteil wurde. Zwischen Schmollen und Schmusen schlossen sie so etwas wie Waffenstillstand. Der Vormittag verstrich, und es wurde Mittag. Als der Lunch fertig war, wurden die Kinder in ihre eigenen Räume zurückgebracht.
Nachdem Faye gegessen hatte, teilte Shiran ihr mit, dass es Zeit für ihr Bad sei.
„Ist es nicht ein bisschen früh?“, fragte Faye verwundert.
„Es wird einige Stunden dauern, Sie für den Empfang der Damen heute Abend anzukleiden, Mylady.“
„Oh …“
Der Gedanke an einen öffentlichen Auftritt erfüllte sie mit Unbehagen – ebenso wie das unvermeidliche Wiedersehen mit Sharif. Die Nacht, die er ihr versprochen hatte, erschien ihr gleichzeitig wie eine düstere Drohung und der süßeste aller Träume.
Sie war kaum in das vorbereitete Bad geglitten, als ihre Zofen mit Körben voller Ingredienzen hereinkamen
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