Julia Exklusiv Band 238 (German Edition)
ihr nieder.
„Warum haben Sie diesen Mann geheiratet, Lucy?“
Sie antwortete nicht. Was hätte sie sagen sollen? Dass sie eine Närrin gewesen war? Dass sie sich nach Liebe gesehnt hatte und dass Steve ihr wie ein Rettungsring erschienen war, als sie einsam und verlassen vor sich hingetrieben war?
Ein Rettungsring, aus dem die Luft strömte und der jeden Schiffbrüchigen unweigerlich in die Tiefe zog …
Sie schloss die Augen, die sich mit Tränen gefüllt hatten, und schüttelte stumm den Kopf.
„Nach allem, was Sie mir erzählt haben, hat er Sie nicht mit dem notwendigen Respekt behandelt“, stellte Hanif sanft fest und drückte ihr ein Taschentuch in die Hand. „Warum haben Sie ihn also geheiratet?“
Lucy zuckte schwach mit den Schultern. „Weil er es mir so einfach gemacht hat.“
„Einfach?“
Aber wie sollte sie ihm das nur erklären? „Meine Großmutter hat mich immer von allen Männern ferngehalten. Sie hatte Angst, dass ich wie meine Mutter ende. Vielleicht hätte ich stärker dagegen ankämpfen sollen. Aber als ich alt genug war, um mich gegen sie aufzulehnen, war ich längst davon überzeugt, dass meine einzige Fluchtmöglichkeit darin bestand, nach der Schule zur Universität zu gehen.“ Sie sah ihn mit traurigen Augen an. „Dann hat meine Großmutter den Schlaganfall gehabt, und es gab keinen Ausweg mehr.“
„Und als sie starb, waren Sie ganz allein?“
„Allein und vollkommen hilflos. Und auf einmal war da Steve, der mich getröstet und vom Grübeln abgehalten hat.“
Hanif runzelte die Stirn. „Sie kannten ihn?“
Sie nickte. „Seine Familie wohnte gleich um die Ecke. Steve ist mit mir in eine Klasse gegangen.“
„Das heißt, Sie waren schon seit der Schule in ihn verliebt?“
„Verliebt?“ Lucy zuckte mit den Schultern. „Es gab in der ganzen Klasse kein einziges Mädchen, das nicht für Steve geschwärmt hätte.“ Sie wandte sich Hanif zu, unsicher, ob er das verstehen würde. „Er war ein guter Schüler, sportlich und immer nach der neuesten Mode gekleidet. Er hatte sogar ein Motorrad.“
Ein kaum merkliches Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. „Und wohin hat Steve Sie damals auf seinem Motorrad entführt?“
„Entführt? Mich?“
„Ich kann mir vorstellen, dass Ihre Großmutter eine Beziehung zwischen Ihnen und Steve nicht gerade gutgeheißen hätte und dass Sie sich deshalb heimlich treffen mussten.“
„Meine Großmutter hätte mich eher in den Keller gesperrt, als mich mit einem Jungen ausgehen zu lassen“, versicherte sie ihm. „Aber so weit ist es gar nicht gekommen. Steve wusste damals nicht einmal, dass es mich gibt.“
„Das kann ich mir kaum vorstellen.“
„Oh, Sie hätten mich damals sehen sollen. Ich trug die unförmigsten und altmodischsten Sachen, die meine Großmutter in der Kleiderkammer ihrer Kirche finden konnte. Dazu hatte ich dann immer diese entsetzlichen Zopffrisuren, von denen ich Ihnen ja schon erzählt habe. Dass ich mich nicht schminken durfte, versteht sich ja von selbst.“
„Eine Frau braucht kein Make-up, um schön zu sein“, gab er zu bedenken. „Sie trägt ihre Schönheit in sich, in ihrem Herzen und in ihrer Seele.“
„Es ist schön, dass Sie das so sehen. Ich würde Ihnen gerne glauben. Aber wenn Sie sechzehn Jahre alt sind und für einen Jungen aus Ihrer Klasse schwärmen, helfen Ihnen solche edlen Überzeugungen gar nichts. Ich war so unpopulär, dass sich sogar die Mädchen nicht mit mir sehen lassen wollten.“
„Aber das verstehe ich nicht. Wenn Sie und Steve nicht schon zu Schulzeiten ein Paar waren, wie kommt es dann, dass Sie so schnell nach dem Tod Ihrer Großmutter geheiratet haben? Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist es doch erst ein paar Monate her, dass sie gestorben ist?“
Sie lächelte traurig. „Ich glaube, die offizielle Bezeichnung dafür lautet ‚Hals über Kopf‘. Ich hatte Steve seit Jahren nicht gesehen. Er war gleich nach der Schule in eine andere Stadt gezogen, um dort zu studieren. All die Jahre habe ich ohnehin keinen Kontakt zu Gleichaltrigen gehabt, ich musste ja meine Großmutter pflegen. Nach ihrem Tod habe ich dann erfahren, dass sie mir das Haus vererbt hatte.“ Lucy blickte zu Hanif hinüber, aber seine Miene ließ nicht erkennen, was er dachte. „Sie hatte mir jahrelang immer wieder gesagt, dass sie alles ihrer Kirche vermachen würde, aber im letzten Moment muss sie es sich anders überlegt haben.“
„Und dann ist dieser Mann auf einmal erschienen“,
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