Julia Exklusiv Band 238 (German Edition)
Arabischunterricht gab. Deena schlug vor, gemeinsam in den Supermarkt zu gehen, um anschließend arabisch zu kochen.
Doch sobald Lucy die frischen Feigen in der Auslage erblickte, war es mit ihrer Ablenkung vorbei. Alles, woran sie denken konnte, waren die köstlichen Früchte, die sie mit Hanif geteilt hatte. Sie erzählte Deena also, dass sie Kopfschmerzen habe, und ging nach Hause. Dort nahm sie die Kaftane, die Hanif ihr gekauft hatte, aus dem Schrank und strich mit der weichen Seide über ihre Wange, rief sich den Rosenduft des paradiesischen Gartens in Erinnerung und dachte an Ameerah, die ihr beim Auspacken der Kleider geholfen hatte.
Dann griff sie nach dem Gedichtband, den Hanif ihr geschenkt hatte, und drückte ihn an ihre Brust. Sie fragte sich, was Hanif gerade in diesem Augenblick tat. Wie spät war es eigentlich in New York?
Vielleicht befand er sich gerade auf einer Cocktailparty und war von unzähligen Frauen umgeben, die allesamt klüger, hübscher und besser gekleidet waren als sie.
In diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie immer noch ihren alten Verhaltensmustern folgte. Trotz ihrer Arbeit, trotz der neuen Freunde, die sie gewonnen hatte, trotz ihrer zahlreichen Erfolgserlebnisse hatte sie immer noch keinen Fortschritt auf dem Gebiet gemacht, das am wichtigsten war. Sie wusste zwar, dass sie eine kluge und starke Frau war, die alles Glück dieser Welt verdiente, aber in ihrem tiefsten Inneren glaubte sie immer noch, dass sie nichts wert war, weil ihre Mutter sie damals nicht gewollt hatte.
Am nächsten Tag gab sie in allen überregionalen Zeitungen Anzeigen auf, in denen sie um Informationen über ihre Mutter bat. Außerdem nahm sie Kontakt zu einem Radiosender auf und ließ sich sogar von einem Reporter der Lokalzeitung interviewen.
Sie fühlte sich dabei äußerst unwohl, hatte das Gefühl, sich in aller Öffentlichkeit zu entblößen.
Und das Schlimmste war, dass es vollkommen vergeblich war. Schlimmer noch. Die einzigen Antworten, die sie bekam, waren von verzweifelten Frauen, die auf der Suche nach ihren Kindern waren und die alle das Bedürfnis hatten, ihr ihre traurigen Geschichten zu erzählen.
Wenigstens war es Lucy in der Zwischenzeit gelungen, das Haus zu verkaufen. Nun konnte sie endlich einen Großteil ihrer Schulden bezahlen.
Sie zog in eine Wohngemeinschaft mit einer Kollegin und lernte, die Einladungen von Männern abzuwehren, die mit ihr ausgehen oder sie auf einen Drink einladen wollten. Nicht weil es sich nicht um nette Männer gehandelt hätte oder weil sie ihrem eigenen Urteil nicht getraut hätte. Sondern weil sie nicht Hanif waren.
Eines Abends, als sie von der Arbeit nach Hause kam, stand eine Frau vor ihrem Haus und blickte an der Fassade hinauf, so als habe sie geklingelt und keine Antwort erhalten, aber immer noch hoffe, dass jemand zu Hause sei.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte Lucy. „Wen suchen Sie denn?“ Doch noch während sie die Frage stellte, wusste sie bereits die Antwort.
Sie hatte Fotografien ihrer Großmutter gesehen, als diese noch eine junge Frau gewesen war. Hatte sich selbst unzählige Male im Spiegel gesehen. Diese Frau, die nun vor ihr stand, sah genauso aus wie Lucy und ihre Großmutter und doch ganz anders. Lucy wusste, dass sie die Fremde noch nie gesehen hatte, und doch erkannte sie sie auf eine Weise wieder, die sie tief in ihrem Innersten berührte.
Lucy stand einfach nur da, unfähig sich zu bewegen, geschweige denn zu sprechen …
„Ich bin zu dem Haus meiner Mutter gegangen“, sagte die Frau. „Die Frau, die jetzt dort lebt, hat mir die Adresse des Immobilienhändlers gegeben, von dem sie das Gebäude gekauft hat. Eine der Angestellten dort hat mir gesagt, wo ich dich finden kann.“
Ein Nachbar öffnete die Haustür, hielt sie einen Moment lang auf und ließ sie dann, als keine der beiden Frauen sich rührte, wieder zufallen.
Lucy stand immer noch wie versteinert da.
„Vielleicht war es ein Fehler, hier einfach aufzutauchen“, fuhr die Frau fort. „Ich kann verstehen, wenn du mich nicht sehen willst …“ Sie drehte sich um und war im Begriff zu gehen, doch Lucy streckte die Hand aus und hielt sie zurück.
„Nein. Bitte. Ich habe dich gesucht.“
„Du hast mich gesucht?“
Lucy erblickte Hoffnung im Gesicht ihrer Mutter, und es war, als lösten sich all die Jahre, die sie voneinander getrennt gewesen waren, in Luft auf.
„Ja“, bestätigte Lucy, „schon seit Monaten. Ich habe es über das Internet
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