Julia Extra 0353
Der zweite Teil der Vorstellungsrunde würde bis nach dem Dinner warten müssen.
Er führte sie aus dem Thronsaal durch ein eher spartanisch eingerichtetes Vorzimmer in das Lieblingszimmer seiner Mutter, den sogenannten Silbernen Saal.
„Bitte nimm Platz“, sagte er und geleitete sie zu einem Rokokosesselchen, das mit einem edlen Brokatstoff bezogen war. In der Mitte der hohen Zimmerdecke hing ein gigantischer silberner Kronleuchter, und venezianische Spiegel säumten die mit perlmuttfarbener Seide bezogenen Wände.
Es war ein schöner Raum, voller Seide, Silber und Kristall. Doch nichts in dem Zimmer konnte es mit der Prinzessin aufnehmen.
Sie war bezaubernd.
Dazu berechnend, durchtrieben, hinterlistig – was er allerdings erst nach der Verlobung hatte erkennen müssen.
Seit dem letzten Treffen mit Emmeline war ein Jahr vergangen – damals hatten sie im Schloss von Brabant ihre Verlobung verkündet. Davor hatten sie lediglich zweimal miteinander gesprochen, obwohl er sie seit seiner Kindheit bei verschiedenen feierlichen Anlässen schon häufiger gesehen hatte.
„Du siehst betörend aus“, sagte er, als sich Emmeline dankbar auf den Sessel niederließ. Ihr üppiger türkisblauer Rock legte sich wie eine Wolke um sie. Wie die Meerjungfrau auf dem Felsen, ging es ihm durch den Kopf. Und wie das Fabelwesen nutzte auch sie ihre Schönheit, um Männer magisch anzuziehen, die dann an der Klippe zerschellten.
Eine Eigenschaft, auf die Zale bei seiner Ehefrau und künftigen Königin von Raguva durchaus hätte verzichten können.
Stärke, Ruhe, Beständigkeit und Treue – das waren die Eigenschaften, die er sich wünschte. Leider hatte er erkennen müssen, dass sie über diese Tugenden nicht verfügte.
„Vielen Dank“, sagte sie, und eine zarte Röte zeichnete sich auf ihrer makellosen Porzellanhaut ab.
Der Anblick verschlug ihm die Sprache.
War sie tatsächlich errötet? Meinte sie etwa, er würde ihr abnehmen, dass sie eine scheue Jungfrau wäre und keine durchtriebene Prinzessin?
Trotz aller charakterlichen Mängel war sie rein äußerlich betrachtet perfekt: mit ihrer zarten Statur, dem ebenmäßigen Teint und den strahlend blauen Augen. Schon als kleines Mädchen war Emmeline mehr als hübsch gewesen. Doch nun war sie zu einer außergewöhnlichen Schönheit herangereift.
Sein Vater war derjenige gewesen, der ihm Prinzessin Emmeline d’Arcy als Braut vorgeschlagen hatte. Zale war damals fünfzehn Jahre alt gewesen, Emmeline erst fünf. Er war entsetzt gewesen: ein pausbäckiges kleines Mädchen als zukünftige Ehefrau? Doch sein Vater hatte ihn überzeugt, dass sie einmal eine umwerfende Frau werden würde, und damit recht behalten. In ganz Europa gab es keine aufregendere Prinzessin.
„Endlich bist du hier“, sagte er und hasste sich selbst dafür, dass ihr Anblick ihm so ein Vergnügen bereitete. Er hätte sich angewidert abwenden sollen. Stattdessen fühlte er sich körperlich von ihr angezogen.
Sie senkte den Kopf. „Ja, hier bin ich, Euer Majestät.“
Eine gute Schauspielerin, dachte er mit leicht zynischem Grinsen. Das Erröten, die Schüchternheit, die Unschuld. „Nenn mich Zale“, korrigierte er, „schließlich sind wir seit einem Jahr verlobt.“
„Dennoch haben wir uns seitdem nicht gesehen“, antwortete sie.
„Das war deine Entscheidung, nicht meine.“
Sie überlegte einen Augenblick lang. „Hat es dir etwas ausgemacht?“
Er zuckte die Schultern und schwieg. Was hätte er sagen sollen? Dass er genau wusste, dass sich Emmeline trotz ihrer Verlobung im letzten Jahr regelmäßig mit ihrem argentinischen Playboy-Freund Alejandro getroffen hatte?
Auch wusste er, dass sie in der letzten Woche nach Palm Beach gereist war, um Alejandro bei einem Poloturnier zuzuschauen. Zale war sich bis gestern nicht einmal sicher gewesen, ob sie wirklich ins Flugzeug steigen würde, um rechtzeitig zu ihrer Hochzeit am vierten Juni in Raguva zu sein.
Aber sie war gekommen.
In den bis dahin noch verbleibenden zehn Tagen wollte Zale genau prüfen, ob sie wirklich bereit war, sich dem Wohl ihrer Familien und ihrer Länder unterzuordnen, oder ob sie weiterhin ihre Spielchen mit ihm treiben wollte. „Ich bin froh, dass wir uns endlich kennenlernen“, erwiderte er.
Sie lächelte, und dieses Lächeln machte ihn seltsam nervös.
Wie absurd, dass er sich von einer Frau in einem Ballkleid blenden ließ. Ringe mit Diamanten und Saphiren steckten an ihren Fingern, und die Edelsteine an dem
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