Julia Extra 0353
Holzdecke zierte ein üppiges Muster aus Blattgold.
„Sollen wir?“, fragte Zale und bot ihr seinen Arm an.
Sie sah zu ihm hoch, und ihr Herz tat einen kleinen Sprung. Das schöne Gesicht, die herrlichen Augen, dazu breite Schultern, schmale Taille, ein durchtrainierter Körper. Als wäre ein Traum Wirklichkeit geworden.
Wäre es so schlimm, wenn sie für eine weitere Nacht so tat, als wäre sie Prinzessin Emmeline? Morgen früh wäre sie auf dem Weg nach Hause und würde ihn nie wiedersehen. Warum also sollte sie den heutigen Abend nicht genießen?
Gemeinsam betraten sie den Speisesaal, wo die anderen Gäste bereits an der langen Tafel Platz genommen hatten.
Während sie zu den beiden freien Stühlen in der Mitte des Tisches gingen, spürte Hannah alle Augen auf sich ruhen. „Was für ein gigantischer Tisch“, raunte sie.
„Ursprünglich sollten einhundert Menschen an dieser Tafel Platz finden“, erklärte Zale. „Aber vor fünfhundert Jahren waren die Menschen entweder kleiner, oder die Enge hat ihnen nichts ausgemacht, denn heute Abend sind es nur achtzig Gäste.“
Diener in Uniform rückten Hannah und Zale die Stühle zurecht. Als sie saßen, beugte sich Zale zu ihr und flüsterte: „Und selbst bei achtzig Gästen wird es recht kuschelig.“
Kuschelig trifft es nicht ganz, dachte sie eine Stunde später. Ihr war unglaublich heiß. Das Kleid war für das Fünf-Gänge-Menü eindeutig zu eng. Außerdem beanspruchten Zales breite Schultern neben ihr jede Menge Platz.
Auch ohne ihn zu berühren, spürte sie den ganzen Abend die Energie, die von ihm ausging.
Und wann immer sie sich aus Versehen berührten – einmal stießen ihre Schultern zusammen, ein anderes Mal strichen ihre Oberschenkel gegeneinander –, drehte sich alles in Hannahs Kopf.
Sie war nervös. Angespannt. Verlegen. Hochempfindlich .
Sobald er den Kopf wandte und ihr in die Augen sah, bekam sie eine Gänsehaut. Ein Mann, der keine Hemmungen hatte, einer Frau lange in die Augen zu sehen, war ein sehr erotisches Erlebnis.
Als einer der Diener ihren Teller abräumte, erschrak Hannah und stieß durch eine abrupte Bewegung wieder mit Zale zusammen. Das Lächeln, das er ihr schenkte, ließ ihr Herz höher schlagen.
Dieser Mann war wie eine Naturgewalt, und sie war tatsächlich neidisch auf Emmeline.
Wie es wohl wäre, von einem Mann wie Zale geliebt zu werden?
Von einem Mann geliebt zu werden, der wusste, was er wollte …
Ihr stockte der Atem. Sie legte die Hände in den Schoß und spielte nervös an den kostbaren Perlen ihres Kleides und versuchte krampfhaft, an etwas anderes zu denken.
Zale wandte ihr erneut den Kopf zu. „Nicht jedes Dinner zieht sich so lange hin“, sagte er leise auf Englisch zu ihr. Den ganzen Abend über hatten sie französisch geredet, damit die anderen Gäste an ihrem Gespräch teilhaben konnten. Doch wann immer er das Wort direkt an sie wandte, sprach er englisch.
„Es macht mir nichts aus“, sagte sie. „Der Saal ist wunderschön, und ich habe einen sehr angenehmen Tischnachbarn.“
„Du bist ja auf einmal so charmant.“
„War ich das nicht immer?“
„Nein.“ Sein Mund verzog sich spöttisch. „Vor einem Jahr war dir meine Gegenwart alles andere als angenehm. Das war bei unserer Verlobungsfeier, bei der du mich den ganzen Abend gemieden hast.“ Seine Augen blieben ernst. „Dein Vater meinte, das läge an deiner Schüchternheit. Aber ich wusste, dass es einen anderen Grund hatte.“
„Und welchen?“
Er sah sie durchdringend an. „Ich wusste, dass du in einen anderen Mann verliebt warst und mich nur aus Pflichtgefühl heiraten wolltest.“
Das war wirklich nicht die Sorte Gespräch, die man bei einem formellen Abendessen führen sollte. Nervös fuhr Hannah mit der Hand über die Perlen ihres Kleides. „Vielleicht sollten wir später darüber sprechen …“
„Warum?“
„Hast du keine Angst, dass jemand unser Gespräch belauschen könnte?“
Er musterte sie noch durchdringender. „Ich habe eher Angst, dass ich keine ehrlichen Antworten bekommen könnte.“
Sie zuckte die Schultern. „Dann frag mich doch einfach. Das ist dein Palast. Das sind deine Gäste.“
„Und du bist meine Verlobte.“
Trotzig hob sie das Kinn. „Ja, das stimmt.“
Einen scheinbar endlosen Moment lang sah er sie an. „Wer bist du wirklich, Emmeline?“
„Wie bitte?“
„Du bist heute so anders. Es kommt mir fast vor, als würde ich neben einer ganz anderen Frau sitzen.“
„Was für eine
Weitere Kostenlose Bücher