Julia Extra 0353
beides geben konnte.
Sie verdiente so viel mehr als einen Mann, der sie nur heiratete, um ein Versprechen zu erfüllen.
Wieso dachte er überhaupt noch darüber nach, diese Sache durchzuziehen? Consuelo Garbas war keine Gefahr mehr, er konnte sie nicht mehr verletzen. Wenn er auch nur noch einen Funken Verstand besaß, würde er sie gleich einfach nach Hause bringen, ihr eine gute Nacht wünschen und gehen. Umberto würde es niemals erfahren.
Aber er hatte ein Versprechen gegeben.
Außerdem – vielleicht war es gar nicht so unmöglich, Gabriella zu einer Heirat zu bewegen. Je länger er mit ihr zusammen war, desto sicherer wurde er, dass er das Undenkbare erreichen konnte.
Sie hatte ihn schon als Kind verehrt, und auch heute schien sie noch Sympathie für ihn zu empfinden. Er merkte genau, wie sie seine Berührungen genoss und wie sie ihn anschaute. Auch seine Vergangenheit machte sie offenbar nicht im Geringsten misstrauisch. Wie unglaublich naiv von ihr!
„Also was hat er gesagt?“ Gabriellas Stimme schreckte ihn aus seinen Gedanken auf.
„Als du mit Umberto gesprochen hast. Was hat er gesagt?“, fragte sie noch einmal.
Raoul zögerte. Er konnte sich sehr genau vorstellen, was sie sagen würde, wenn er ihr von dem letzen Wunsch ihres Großvaters erzählte.
„Ich habe ja wohl ein Recht darauf, seine letzten Worte zu erfahren.“
„Sì.“ Er nickte. „Natürlich hast du ein Recht darauf. Er hat nämlich vor allem von dir gesprochen.“
„Von mir.“ Sie schluckte.
Raouls Blick wanderte über ihr bezauberndes Gesicht, den Hals hinab und blieb an den sanften Rundungen ihrer Brüste hängen. Mit Mühe schaute er wieder auf, als sie fragte: „Was hat er über mich gesagt?“
„Dass er dich liebt“, entschärfte Raoul die Wahrheit. „Mehr als irgendetwas oder irgendjemanden auf der ganzen Welt. Er hat davon geschwärmt, dass du etwas ganz Besonders bist und wie viel du ihm bedeutest. Er hat von seiner Angst erzählt, was nach seinem Tod aus dir wird, und wie traurig es ihn macht, dass er es nicht mehr erleben kann, wenn du eines Tages heiratest und Kinder bekommst.“
Gabriella zog hörbar die Luft ein und biss auf ihre volle Unterlippe, so wie sie es schon als Kind gemacht hatte. Raoul erinnerte sich, wie sie auf der Beerdigung ihrer Eltern versuchte hatte, nicht zu weinen. Sie hatte so fest auf ihre Unterlippe gebissen, dass diese geblutet hatte. Das Blut hatte sie später auf seinem Hemd verschmiert, als er sie in seinen Armen gehalten hatte.
Er dachte daran, wie ihm damals bei ihrem Anblick die Tränen gekommen waren, obwohl er sich geschworen hatte, stark zu bleiben.
Mein Gott, sie hat schon so viel Schreckliches erlebt, schoss ihm durch den Kopf. Er verstand gut, warum Umberto sie über seinen Tod hinaus beschützen wollte. Das wollte er auch. Aber selbst in seinem verhärteten Herzen wusste er genau, dass er der letzte Mensch auf Erden war, der ihr helfen konnte.
„Er hat gesagt, du würdest in jedem Menschen nur das Gute sehen.“
„Danke. Es wäre schön gewesen, wenn er mir all das selbst gesagt hätte, aber es tut trotzdem gut, es zu hören“, erwiderte sie.
„Manchmal kann man die Worte nicht direkt sagen. Hat dir dein Großvater jemals gesagt, dass er dich liebt?“
„Nein, aber ich wusste es trotzdem.“
„Siehst du! Manches versteht man auch ohne Worte.“ Als sie unter Tränen glücklich lächelte, fühlte er sich nicht mehr ganz so schuldig, weil er ihr nicht die volle Wahrheit gesagt hatte.
„Danke, Raoul.“ Sie griff nach seinen Händen und hielt sie fest, bis das Essen serviert wurde. „Ich danke dir so sehr.“
3. KAPITEL
„Was hast du jetzt vor?“, fragte Raoul beim Essen. „Bleibst du in Paris?“
Gabriella schob mit der Gabel einen Champignon auf ihrem Teller hin und her und dachte über seine Frage nach. „Ich habe hier meinen Job in der amerikanischen Bibliothek“, erwiderte sie schließlich. „Sie haben mir Urlaub gegeben, solange ich brauche. Aber langsam wird es Zeit, wieder mit der Arbeit anzufangen.“
„Du siehst nicht gerade wie eine Bibliothekarin aus.“ Er lächelte sie an. „Sonst hätte ich in der Schule bestimmt mehr Zeit in der Bücherei verbracht.“
Gabriella lachte. „Vielen Dank für das Kompliment, aber ich denke, aus dir spricht der Wein.“
„Nein. Aus mir spricht definitiv der Mann!“
Seine Worte ließen einen ganzen Schmetterlingsschwarm in ihrem Bauch aufflattern. Unter dem Tisch presste sie ihre Knie
Weitere Kostenlose Bücher