Julia Extra 0353
Stunden täglich. Jeden Tag ging er bis an seine Grenzen. Stephen kämpfte um sein Leben, da konnte er ebenfalls alles geben.
Nach Abschluss der Schule folgte er seinem Bruder nach Oxford. Auf Anhieb schaffte er es in die erste Mannschaft des Fußballklubs der Universität, und schon im darauf folgenden Jahr führte er das Team zur Meisterschaft.
Beim letzten und wichtigsten Spiel der Saison war Stephen dabei. Er hatte darauf bestanden, und der König von Raguva selbst schob den schwachen Sohn in einem Rollstuhl ins Stadion. Während des Spiels jubelte niemand lauter als Stephen.
Eine Woche nach dem Spiel starb Stephen. Zale gab sich selbst die Schuld an seinem Tod. Der Tag im Stadion war zu anstrengend für den Bruder gewesen. Er hätte nicht kommen dürfen.
An das Abschlussjahr in Oxford konnte Zale sich nicht erinnern, alles verschwamm in einem Nebel der Trauer. Nur auf dem Spielfeld hatte er das Gefühl, er selbst zu sein. Nach Beendigung seines Studiums wollten ihn gleich vier große Fußballvereine unter Vertrag nehmen.
Am Ende unterschrieb er bei einem Verein der ersten spanischen Liga, obgleich seine Eltern dagegen waren. Sie hatten ihn gebeten, nach Raguva zurückzukehren – schließlich war er jetzt der Kronprinz. Aber Zale wollte nicht König werden. Er lebte nur für den Fußball.
Fußball, wiederholte er in Gedanken, als er die königliche Suite betrat.
Sein Kammerdiener wartete im Ankleideraum auf ihn.
„Hatten Sie einen schönen Abend, Euer Majestät?“, fragte der Diener, als er ihm aus der Jacke half.
„Ja, danke der Nachfrage“, erwiderte Zale, während er die Weste aufknöpfte.
Nein, er hatte nicht König werden wollen. Aber nachdem seine Eltern mit dem Flugzeug abgestürzt waren, war er sofort nach Hause gekommen, um seine Pflicht zu erfüllen.
Er wollte ein guter König sein.
Das war er seinem Volk, seinen Eltern und nicht zuletzt Stephen schuldig.
In dieser Nacht schlief Hannah unruhig. Sie träumte von Zale, träumte davon, dass sie Emmeline fand, nur um sie kurz darauf wieder zu verlieren.
Immer wieder wachte sie auf und sah auf die Uhr, schließlich musste sie zeitig zum Flughafen. Um drei Uhr stand sie auf, zog die Gardinen zurück und sah gedankenverloren in den Nachthimmel. Dann legte sie sich wieder hin.
Als der Morgen dämmerte, beobachtete sie vom Bett aus, wie sich das Licht allmählich golden färbte.
Ein schöner Tag stand bevor. Keine Wolke war in Sicht. Hannah ging zum Fenster und bewunderte den Ausblick. Die zerklüfteten Berge. Die weiß verputzten Häuser. Die roten Dachziegel. Das Glitzern der Sonne auf dem Meer.
Die Hauptstadt Raguvas sah aus, als stammte sie aus einem Märchen.
Sie spürte einen Schmerz in ihrem Herzen und drehte sich weg.
Heute wollte sie weder fühlen noch denken. Sie wollte sich nicht an den letzten Abend erinnern und keine Gewissensbisse wegen des Kusses verspüren.
Heute würde sie nach Hause fliegen, zurück zu ihrer Arbeit, ihrem eigenen Leben.
Einen Fluchtplan hatte sie sich bereits zurechtgelegt: Am Morgen wollte sie sich von dem Chauffeur zu den teuren Boutiquen der Stadt fahren lassen. Vor einem Schaufenster wollte sie auf Emmelines Anruf warten. Dann würde sie sich auf den Weg zum Flughafen machen, wo sie mit der Prinzessin auf der Damentoilette die Kleider tauschen würde. Fertig.
Nach dem Duschen schlüpfte Hannah eilig in ein pflaumenfarbenes Kleid mit Raglanärmelchen und strassbesticktem Ausschnitt. Das Haar flocht sie zu einem französischen Zopf und wählte als einzigen Schmuck ein paar goldene Ohrringe. Je weniger sie später mit Emmeline tauschen musste, desto besser.
Nachdem sie angezogen war, blieb Hannah nichts anderes übrig, als zu warten. Sie ließ sich Kaffee und Croissants zum Frühstück bringen.
Zwei Stunden vergingen, kein Anruf von Emmeline. Um neun Uhr betrat Lady Andrea das Zimmer, um mit ihr den Tagesablauf durchzugehen.
„Heute stehen jede Menge Termine an“, sagte Lady Andrea, nachdem sie im Wohnzimmer der Suite Platz genommen und ihren Terminkalender aufgeschlagen hatte. „Um zehn Uhr haben Sie einen Termin mit Seiner Majestät und den Anwälten, um elf Uhr kommen die Friseurin und die Stylistin, um sie für den Termin mit dem Maler zurechtzumachen. Danach sitzen Sie dem Maler Modell für das offizielle Porträtbild. Abends findet ein privates Dinner mit Seiner Majestät statt.“
Lady Andrea holte tief Luft: „Noch Fragen?“
„Was ist der Zweck des Treffens mit Seiner Majestät
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