Julia Extra 0353
einen anderen Menschen einzulassen.
Nachdem er aus Paris aufgebrochen war, war er fünf Tage lang durch die Hölle gegangen. Es hatte ihm das Herz gebrochen, Becky, die er einmal innig geliebt hatte, im Krankenhaus im Sterben liegen zu sehen. Kein einziges Mitglied ihrer Familie war gekommen, deshalb hatten die Ärzte schließlich ihm die Entscheidung überlassen, ob die Maschinen, an die sie angeschlossen war, ausgeschaltet werden sollten. In diesem Moment hätte er Jennie dringend gebraucht. Doch anstatt ihm eine Stütze zu sein, hatte sie ihm eine Szene gemacht und war wie eine verwöhnte Prinzessin davongelaufen. Das hatte ihn unendlich enttäuscht.
Doch damit nicht genug. Nach Beckys Tod hatte es eine unerwartete Überraschung gegeben, und die Konsequenzen, die ihr Tod mit sich brachte, trafen ihn gänzlich unvorbereitet. Es war unendlich schwer für ihn, mit all diesen Dingen fertig zu werden.
Dennoch hatte er in jeder freien Minute weiter nach Jennie gesucht. Anrufe in ihrem Büro und bei ihrer Familie ergaben stets dieselbe Auskunft: Jennie war überraschend in den Urlaub gefahren, und es ginge ihr gut. Zuerst hatte er gedacht, dass es nur Ausreden waren, doch nach der heutigen Begegnung mit Marion Hunter wusste Alex, dass Jennie ihre Familie tatsächlich genauso im Dunkeln gelassen hatte wie ihn.
Schließlich hatte er es aufgegeben und nur noch gehofft, dass Jennie irgendwann Vernunft annehmen und auf seine Anrufe reagieren würde. Doch als schließlich Weihnachten vor der Tür stand und er noch immer nichts von ihr gehört hatte, hatte Alex beschlossen, Jennie spätestens bei der Hochzeit ihres Stiefbruders am Neujahrstag mit der Situation zu konfrontieren.
Er sah sie an. Sie war wieder etwas entspannter, doch als sie sich mit großen Augen nach vorne lehnte, war ihr freches Lächeln verschwunden, und sie sah nicht mehr aus wie die quirlige junge Frau, die jeder kannte. Sie wirkte besonnen, nachdenklich, sogar ein wenig zerbrechlich.
Nachdenklich stand er auf, ging zum Champagnerkühler hinüber und nahm die Flasche aus dem Eiswasser. Fragend blickte er zu ihr hinüber.
„Wenn ich je einen Drink benötigt habe, dann jetzt“, erklärte sie kraftlos. Er öffnete die Flasche, füllte zwei Gläser und reichte ihr eines. Dann setzte er sich ihr gegenüber aufs Sofa.
Um die Lage zu klären, durfte er jetzt nicht in die Rolle des Staatsanwalts fallen und sie wie eine Verdächtige behandeln. Das würde keinem nützen. Nein, sie mussten einander respektvoll gegenübertreten – nur dann hatte ihre Ehe noch eine Chance.
„Natürlich habe ich gemerkt, dass du durcheinander warst, als ich dich gebeten hatte, nach London zu kommen“, sagte er mit ruhiger Stimme. „Aber warum bist du einfach verschwunden? Warum bist du nicht nach Hause gekommen?“
„Männer“, murmelte sie. „Sie verstehen nie, worum es geht.“
„Dann erklär es mir bitte.“
Jennie nippte an ihrem Champagner und stieß einen tiefen Seufzer aus. „Du musst das verstehen, Alex. Vier Tage allein im Hotelzimmer zu sitzen, um dann ohne Mann nach London zurückzukehren, war nicht gerade das, was ich mir unter Flitterwochen vorgestellt habe.“
Natürlich konnte Alex ihre Gefühle nachvollziehen. Aber es war ein Notfall gewesen. Was hätte er denn anderes tun sollen? Es hatte ihm das Herz gebrochen, ihr sagen zu müssen, dass sie den Rest ihrer Reise verschieben mussten. Doch es gab Dinge, die er ihr nur persönlich und nicht durchs Telefon sagen konnte.
„Ich weiß“, räumte er ein. „Denkst du vielleicht, mir hat das gefallen?“
Ihm war klar, wie enttäuscht Jennie gewesen sein musste. Aber er hatte ja auch einiges durchstehen müssen. Noch immer verfolgte ihn das Bild, wie grau und leblos Becky im Krankenhaus ausgesehen hatte. Und dann die schreckliche Stille, nachdem er sich nach langem Ringen dazu entschlossen hatte, die lebensverlängernden Maßnahmen zu beenden. Ganz zu schweigen von dem belastenden Gefühl, wie anders sich die Dinge entwickelt hätten, wenn Becky den Kontakt nicht gänzlich abgebrochen hätte.
„Ich hatte keine Wahl“, fuhr er fort. „Wenn es nicht so wichtig gewesen wäre, hätte ich dich nie darum gebeten.“
Jennie nickte und stellte ihr Glas auf den Tisch zurück. „Ja, diesen Satz habe ich schon häufig gehört“, sagte sie bitter. „Und zwar von meinem Vater. Immer, wenn ich ihn gebraucht habe, gab es etwas Wichtigeres für ihn. Ich hätte nie …“, ihre Stimme versagte. „Nie hätte
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