Julia Extra 260
auch das Leben ihrer Mutter gefordert hatte.
Nichts reichte an diese Tragödie heran, nicht einmal die Tatsache, dass Carl sie nur wenige Monate nach dem Unfall verlassen hatte. Obwohl sie damals überzeugt gewesen war, dass ihr Herz nie wieder würde heilen können.
Leah packte das Handtuch fester und rubbelte nicht gerade sanft über ihre Narben, denn sie erinnerte sich in diesem Moment an Carls Gesichtsausdruck, als er zum ersten Mal ihr verunstaltetes Bein gesehen hatte. Er war entsetzt. Es stieß ihn ab.
Und er brachte ständig neue Entschuldigungen an, weshalb er auch Wochen, nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, noch nicht wieder mit ihr schlief. Schließlich verkündete er, dass er die Scheidung wollte, weil sie sich angeblich so sehr verändert hatte.
Leah gab ihm sogar recht. Während der langen, schmerzvollen Wochen im Krankenhaus war sie zu einer anderen Person geworden. Einer besseren, wie sie glaubte. Eine Person mit mehrCharakter, Einsicht und Mitgefühl.
Carl behauptete, sie wäre viel zu ernst geworden und man könne gar keinen Spaß mehr mit ihr haben. Leahs verzweifelter Einwand, sie habe gerade erst ihre Mutter verloren und deshalb sei es ganz natürlich, dass sie traurig sei, machte auf ihn keinen Eindruck.
Dass er mich verließ, hat nichts mit einer Veränderung meiner Persönlichkeit zu tun, dachte sie heute bitter. Es lag allein an ihren Narben.
Doch irgendwann fand sie sich mit der Trennung ab. Denn mal ganz ehrlich – wer wollte schon mit einem Mann verheiratet bleiben, der nicht ertragen konnte, dass seine Frau optisch nicht mehr völlig perfekt war?
Was vor dem Unfall durchaus der Fall gewesen war. Zumindest hatte man ihr das ihr ganzes Leben lang versichert.
Leah war das Ebenbild ihrer Mutter gewesen – langes blondes Haar, tiefgrüne Augen, perfekte Zähne, makellose Haut und eine fantastische Figur. Sie hatte ihre guten Gene immer für selbstverständlich gehalten. Ihren privilegierten Lebensstil ebenso.
Als einziges Kind von Sydneys erfolgreichstem Börsenmakler war ihr niemals etwas versagt worden. Im Gegenteil. Nach Strich und Faden verwöhnt, war sie zu einer kleinen Prinzessin herangewachsen, die glaubte, die Welt müsse nur nach ihrer Pfeife tanzen. Für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten – das war ein Konzept, das Leah Bloom nicht verstand. Sie verfügte über eine monatliche Zuwendung und eine Kreditkarte. Warum sollte sie also täglich acht Stunden in einem drögen Job verbringen?
Stattdessen füllte sie ihre Tage mit Einkaufen und Wohltätigkeitsessen sowie den Stunden, die sie im Schönheitssalon verbrachte, um für den Termin am Abend gestylt zu werden. Im Alter von einundzwanzig hatte Leah mehr Partys, Premierenfeiern und Galaveranstaltungen besucht, als sie zählen konnte.
Als sie sich dann auch noch verliebte und Carl heiratete, war das das absolute Sahnehäubchen. Er war attraktiv, charmant und reich. Sehr reich. Leahs Familie hatte schließlich auch keinen Umgang mit anderen Leuten.
Carl war dreißig, als sie sich vermählten – der Erbe eines riesigen Diamantenimperiums. Sie war dreiundzwanzig.
Ihre Ehe dauerte gerade mal sechs Monate, da geschah derUnfall. Viel zu kurz, als dass sich Carl in diesem Zeitraum schon hätte „entlieben“ können. Bereits vor einiger Zeit war Leah klar geworden, dass sie für ihn nur eine Art Trophäe gewesen war – ein dekoratives Anhängsel, mit dem er angab, das aber nur so lange Wert besaß, wie es perfekt war.
Sobald es einen Makel bekommen hatte, wollte er es nicht mehr.
„Mrs. B. hat mich beauftragt, dir zu sagen, dass das Frühstück in zehn Minuten fertig ist“, rief eine männliche Stimme zu ihr hinüber.
Leah schaute auf und sah ihren Vater, der am Balkongeländer seines Schlafzimmers lehnte.
In seinem Lieblingsmorgenmantel aus dunkelblauer Seide und vom vielen Segeln und Schwimmen braun gebrannt, sah er wesentlich jünger aus als die zweiundsechzig Jahre, die er mittlerweile zählte. Natürlich besaß er auch einen eigenen Fitnessraum, in dem er sich in Form hielt, und darüber hinaus färbte er sein dichtes, dunkles Haar.
„Das ist der einzige Grund, weshalb ich jedes Wochenende nach Hause komme, weißt du“, antwortete Leah. „Wegen Mrs.
B.’s Küche.“
Natürlich war das eine Lüge. Sie kam jedes Wochenende nach Hause, um Zeit mit ihrem Vater zu verbringen und seine elterliche Liebe zu spüren.
„Unsinn!“, versetzte auch prompt ihr Vater. „Du isst doch sowieso immer
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