Julia Extra 260
nur ein Häppchen und bist unglaublich dünn.“
„Man kann nie zu dünn sein“, erwiderte sie.
„Oder zu reich“, ergänzte er. „Was mich daran erinnert, dass ich etwas Wichtiges mit dir besprechen wollte. Also beeil dich.“ Damit zog er sich zurück.
Leah warf das Handtuch über ihre Schulter und machte sich auf den Weg in ihr Schlafzimmer – eines von sechs in der zweistöckigen Villa direkt am Wasser, die auf dem aktuellen Markt mehrere Millionen wert sein musste.
Vaucluse war das beste und begehrteste Wohnviertel in Sydneys östlichen Vororten.
Nach dem Tod ihrer Mutter hatte ihr Vater einige Zeit mit dem Gedanken gespielt, das Haus zu verkaufen und irgendwo anders hinzuziehen, doch das hatte Leah ihm ausgeredet. Und darüber war sie unendlich froh. Es war immer wieder ein Trost, die Dingeihrer Mutter um sich zu haben. Ihre Gegenwart in den Räumen immer noch spüren zu können.
So ein wunderschönes Haus, dachte Leah traurig, während sie die Treppe hinaufstieg, die zu ihrem Schlafzimmer führte.
Der Gedanke kam ihr erst, als sie bereits unter der Dusche stand – vielleicht hatte ihr Vater seine Meinung geändert, was das Haus anging. Vielleicht wollte er es doch verkaufen. Vielleicht wollte er darüber mit ihr reden.
Das werde ich nicht zulassen, entschied sie, während sie das Wasser abstellte. Eher werde ich mich mit allem, was ich habe, widersetzen!
Wenige Minuten später eilte sie die Treppe hinunter. Sie trug ein Paar abgeschnittene Bluejeans und ein pinkfarbenes Top und hatte ihr langes, feuchtes Haar zum Pferdeschwanz gebunden.
Joachims Herz tat einen Sprung, als seine Tochter in den Frühstücksraum stürmte. Wie sehr sie ihrer Mutter glich! Es war, als sehe er Isabel in ihren Zwanzigern.
„Falls du vorhast, das Haus zu verkaufen, Daddy“, schleuderte sie ihm mit einem entschlossenen Blick entgegen, während sie ihm gegenüber am Tisch Platz nahm, „dann wirst du dich noch wundern.“
Joachim seufzte. Sie sah wie ihre Mutter aus, aber charakterlich war sie ganz anders. Isabel war eine sanfte, einfühlsame Frau gewesen, die sich ihm immer untergeordnet hatte.
Leah sah sanft aus. Noch vor ein paar Jahren war sie es auch gewesen, doch in den vergangenen achtzehn Monaten hatte sie einiges an Entschlossenheit und Unabhängigkeit dazugewonnen. Sie war nicht hart, aber sehr direkt und kompromisslos.
Doch wer sollte ihr das vorwerfen? Carl hatte einiges zu verantworten. Als Leah ihn am meisten gebraucht hätte, verließ er sie. Der Mann war ein Mistkerl und Feigling. Joachim verachtete ihn zutiefst.
„Nein, Leah“, antwortete er mit einem beruhigenden Lächeln. „Ich will das Haus nicht verkaufen. Ich weiß, wie sehr du daran hängst.“
Leahs Erleichterung war nur von kurzer Dauer. Worüber wollte ihr Vater dann mit ihr reden?
„Worum geht es dann?“, fragte sie, während sie nach einer Scheibe Toast griff. „Du willst doch wohl nicht wieder über meine Arbeit sprechen, oder? Ich dachte, du wärest stolz, dass ich einen Job gefunden habe.“
Vielleicht wäre überrascht eine bessere Beschreibung der Reaktion ihres Vaters gewesen. Als Leah vor einem Jahr zum ersten Mal erwähnte, dass sie sich Arbeit suchen wollte, da hatte ihr perplexer Vater sie gefragt, was in aller Welt sie denn glaubte, was sie tun könne.
„Selbst Kellnerinnen müssen heutzutage eine gewisse Erfahrung haben“, meinte er.
Nachdem sie ihren Lebenslauf zusammengestellt hatte, verstand sie seine Skepsis. Denn es gab praktisch nichts, was sie anführen konnte – abgesehen von einem eher durchschnittlichen Highschool-Abschluss. Sie verfügte über keinerlei Qualifikationen für einen Beruf, nur über ihre sozialen Fähigkeiten, ihr Aussehen und ein paar Computerkenntnisse.
Weshalb sie auch nach unzähligen ergebnislosenVorstellungsgesprächen lediglich die Stelle als Rezeptionistin finden konnte. Und das noch nicht einmal bei einer schicken Firma im Zentrum der City. Momentan arbeitete sie für ein Unternehmen, das Kosmetikprodukte herstellte und seinen Sitz in Ermington hatte, einem Viertel im Westen von Sydney, das hauptsächlich aus Gewerbegebiet bestand.
„Ich bin stolz darauf, dass du einen Job gefunden hast“, versicherte ihr Vater. „Sehr sogar.“
Mrs. B. trat ein, balancierte einen Teller, auf dem sich Rührei, Pilze, gegrillte Tomaten und Bacon türmten, und unterbrach damit die Unterhaltung.
„Das sieht fantastisch aus, Mrs. B.“, lobte Leah die Haushälterin ihres Vaters, während
Weitere Kostenlose Bücher