Julia Extra 360
hatte auch so gewusst, was ihr Vater ihr sagen wollte: Sie solle sich um das alles kümmern, solange es ihn noch gab. Seit dem Infarkt war ihm klar, dass seine Zeit bemessen war.
Leider war Ellie sich inzwischen ebenso klar darüber, dass sich die Führung der Firma und ein Privatleben gegenseitig ausschlossen. Es kam ihr aussichtslos vor, jemals Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen.
Dabei wäre es gerade jetzt so wichtig gewesen, Zeit übrig zu haben.
Um ein Versprechen zu halten, das sie letztes Jahr in China gegeben hatte.
Ellie dachte an die unvorhersehbar gewesenen Ereignisse, die zu diesem Versprechen geführt hatten …
Vor drei Jahren war sie im Auftrag ihres damaligen Arbeitgebers nach China zu einer Konferenz gereist. Auf dem Weg vom Flughafen in die City hatte der Taxifahrer sich völlig verfahren und sie in ein kleines Dorf vor den Toren der Stadt gebracht.
Dort hatte sie eine junge Frau kennengelernt, und das hatte ihr Leben verändert.
Ellie blieb die nächsten fünf Tage im Dorf und half Sun Yuchin, einer jungen schwangeren Witwe, einen Brunnen zu graben und das Haus zu reparieren.
Danach flog Ellie direkt nach Amerika zurück und besuchte seither das Dorf und Sun mehrmals im Jahr. Nachdem Suns kleine Tochter Jiao geboren war, half Ellie, ein Kinderzimmer an Suns Haus zu bauen.
Die Chinesin hatte schon mehr Tragödien erlebt, als einem Menschen vom Schicksal zugemutet werden sollten. Sun hatte nicht nur Eltern und Ehemann verloren, sie war nach der Geburt ihres Babys an unheilbarem Krebs erkrankt. Nachdem sie Ellie von ihrer Krankheit erzählt hatte, brachte sie ihr unglaubliches Anliegen vor: Wirst du Jiao nach meinem Tod an meiner Stelle aufziehen? Sie nach Amerika mitnehmen und ihre Mutter sein?
Ein Räuspern von Finn riss Ellie aus ihren Erinnerungen. Finn hatte sein Telefonat beendet und kam auf das Thema zurück, das ihn beschäftigte.
„Der Auftrag des Piedmont Hospitals ist ein ziemlich bedeutendes Projekt für WW“, meinte er sachlich.
Ist er etwa neidisch? fragte sich Ellie. Sie wusste, dass auch er aufgefordert gewesen war, ein Angebot einzureichen. Ihr Vater war sicher gewesen, McKenna Designs würde den Auftrag bekommen, denn die Firma war führend im Sektor öffentlicher Gebäude. Aber schließlich hatte WW alle anderen ausgestochen.
„Ich bin sicher, wir sind der Herausforderung gewachsen“, erwiderte sie unverbindlich.
Und nicht unbedingt wahrheitsgetreu.
„Ein Projekt von solchen Dimensionen kann ziemlich einschüchternd wirken“, stellte er fest. „Sogar für jemanden mit Ihrer Erfahrung.“
Der Seitenhieb saß. Ein methodisch vorgehender Mann wie Finn McKenna wusste bestimmt, dass sie bisher nur Wohnhäuser entworfen hatte. Sie hatte sich dafür entschieden, weil sie es liebte, ihren Kunden ein schönes Zuhause zu schaffen. An Großbauten und kommerziellen Projekten war ihr nie gelegen gewesen.
Nun musste sie sich damit befassen. Umständehalber.
Und ich werde es schaffen, schwor Ellie sich.
„Wir haben ein starkes engagiertes Team“, erklärte sie stolz.
„Sie hatten“, verbesserte Finn sie.
„Wie bitte?“
„Sie hatten ein starkes, engagiertes Team, Miss Winston. Wie ich höre, hat Farnsworth Ihre Firma letzte Woche verlassen.“
Verdammt! Finn kannte sich wirklich erschreckend gut aus. Nur wenige wussten bisher, dass George Farnsworth, einer der ältesten und erfahrensten Architekten bei WW, gekündigt hatte. Er hatte sich von Anfang an mit ihr nicht vertragen und schließlich verkündet, er würde für ihren Vater arbeiten oder für niemanden.
Das war gelogen, denn er hatte da schon ein lukratives Angebot bei einer Konkurrenzfirma in der Hinterhand.
Es war Ellie nicht gelungen, einen Ersatz für ihn zu finden, obwohl sie alles versucht hatte.
„Sie wissen ja eine ganze Menge über meine Firma, Mr McKenna“, bemerkte sie kühl. „Und …“
„Nennen Sie mich doch bitte Finn!“, unterbrach er sie.
„Und ich möchte wissen, warum. Finn.“
Finn blickte ihr in die Augen. „Sie wollen wissen, warum ich mich für Ihre Firma interessiere“, wiederholte er. „Und für Sie.“
Sie nickte nur.
„Ich habe mich deswegen über alles so genau informiert, weil ich …“, er machte eine kleine Pause, „… Ihnen einen Vorschlag machen möchte.“
„Lieber Himmel, Finn, das klingt ja beinah anzüglich“, konterte sie scherzhaft, weil sie sich ihre Überraschung nicht anmerken lassen wollte.
Er lachte. „Ich versichere Ihnen,
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