Julia Extra 360
Erinnerung war oder das eine Foto, das er gefunden hatte. Aber er hatte seinen Bruder gesehen, sie waren früher einmal zusammen gewesen. „Als wir Babys waren …“ Zander wollte nicht darüber sprechen. Er drehte sich auf die Seite und schloss die Augen.
Nun drehte sich Charlotte auch herum und legte ihm die Hand auf die Taille.
Er hielt den Atem an, weil er Charlotte sonst gebeten hätte, zu gehen. Plötzlich war sie zu nahe.
Trotzdem ließ sie das Thema nicht ruhen. Seine stumme Warnung beachtete sie nicht.
„Ich meine, wie war es, ohne ihn aufzuwachsen und zu wissen, dass du einen eineiigen Zwillingsbruder hast?“
Vielleicht zeigte er Schwäche, weil schon der neue Tag angebrochen war. Oder es war der Sex, der ihn weich gemacht hatte. Oder Charlottes Stimme, die eher liebevoll als neugierig klang. Oder ihre Hand, die noch immer auf seiner Taille lag. Zander wies Charlotte jedenfalls nicht an, sie solle still sein. Er reagierte nicht, wie er es normalerweise getan hätte.
Stattdessen dachte er darüber nach, wie er es am besten beschreiben sollte.
„Stell dir vor, du blickst jeden Morgen in den Spiegel, und da ist kein Spiegelbild. Du weißt, da ist ein Du, das du nicht sehen kannst.“
Zander versuchte gar nicht erst, es besser zu erklären.
Das war sowieso sinnlos.
In wenigen Stunden, wenn Charlotte ihn so kennenlernte, wie er wirklich war, würde sie ihn nicht mehr in ihrem Leben haben wollen.
6. KAPITEL
In einem fremden Bett neben einem Mann aufzuwachen, den sie kaum kannte, hätte Charlotte in Panik versetzen müssen. Doch sie hatte nicht das Gefühl, dass ein Fremder neben ihr lag.
Sie beobachtete ihn im Schlaf und bewunderte seine Schönheit. Der dunkle Teint schimmerte in der Morgensonne, die ins Zimmer schien. Charlotte betrachtete den sinnlichen Mund, mit dem Zander sie so intim erforscht hatte, und musste der Versuchung widerstehen, ihn zu küssen. Sie bewunderte seinen Waschbrettbauch. Wie gern hätte sie das Laken weggezogen und alles von Zander gesehen!
Als er aufwachte, stellte er fest, dass Charlotte ihn beobachtete. Dann wurde ihm bewusst, dass der Tag da war, auf den er so lange gewartet hatte. Nur wollte er gar nicht aufstehen. Er sah Charlotte an und wollte sie in seine Arme schließen und am liebsten sofort mit ihr schlafen. Das wäre jedoch selbst für seine Begriffe zu grausam, weil er wusste, was kommen, wie er sie abservieren würde.
Zander rührte sich nicht, also tat sie es. Sie küsste ihn, weil sie noch immer auf die gestrige Nacht vertraute, auf alles, was sie erlebt hatten. Selbst als er passiv blieb, fragte sie nicht, warum. Sie küsste ihn trotzdem.
Schließlich erwiderte er ihren Kuss, bis er sich daran erinnerte, dass die Intimität, die sie erlebt hatten, weit über Sex hinausgegangen war. Bis ihm einfiel, dass er sich ihr fast anvertraut hätte. Zander wich vor ihr zurück und stand auf.
„Ich muss mich fertig machen.“
Dass er sie abwies, spürte Charlotte, obwohl seine Worte angebracht waren – es ging schon auf sieben zu.
„Ich auch.“ Sie zog sich an, bereitete sich auf die peinliche Fahrt mit dem Lift im Kleid von gestern Abend vor. Sie rechnetet damit, dass Zander sich jetzt mit einem Lächeln oder einem Kuss verabschieden würde. Damit würde er ihr zu verstehen geben, dass sie an diesem Abend wieder zusammen sein konnten.
Doch er tat weder das eine noch das andere.
„Viel Glück für heute.“
„Ich verlasse mich nie aufs Glück“, antwortete Zander kurz angebunden.
„Wenn ich dich gleich sehe, wenn ich mit Nico spreche …“
„Wir sind uns nie begegnet.“
Zustimmend nickte Charlotte, weil es die Sache mit ihrem Chef erleichterte.
Nach all den Jahren seinen Zwillingsbruder zu treffen kostet ihn Nerven, tröstete sie sich auf dem Weg in ihr Zimmer. Sie war auch nervös, während sie aus ihrer Reisegarderobe ein elegantes marineblaues Kostüm wählte und sich entschied, ihr Haar wegen des Knutschflecks offen zu tragen.
Um kurz vor acht betrat sie das Vorzimmer des Konferenzraums, den sie gebucht hatte. Sie musste zweimal hinschauen, als Nico hereinkam, eine geschliffenere Ausgabe des Mannes, mit dem sie im Bett gewesen war. Und ja, Charlotte fühlte sich schuldig. Nicht wegen der Nacht mit Zander, sondern ihrem Arbeitgeber gegenüber.
„Das mit Ihrem Vater tut mir leid. Wie geht es ihm?“
„Schlecht“, erwiderte Nico. „Nach diesem Meeting muss ich direkt ins Krankenhaus. Ich hoffe, der Rückflug ist
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