Julia Extra Band 0193
„Du wusstest es, nicht wahr?“, beschuldigte sie ihn. „Dass das Baby nicht von Tom ist – sondern von dir.“
Seine Hand fasste nach dem Bierglas. „Weder wusste noch weiß ich etwas von einer derart absurden Unterstellung“, gab er angewidert zurück. „Und wenn Tom oder du, wenn ihr euch einbildet, ich würde mich jetzt um das Baby kümmern, seid ihr auf dem Holzweg.“ Er leerte das Glas in einem Zug. „Wenn du also nichts weiter mehr zu sagen hast …“ Er erhob sich.
Natürlich hätte sie bleiben können, aber sie wollte die Neugier der anwesenden Krankenhausangestellten nicht noch mehr anregen.
Es war noch hell, als sie beide vor den Pub traten. Und seltsam, jetzt, da es an der Zeit war, sich zu verabschieden, schien keiner von beiden Lust dazu zu verspüren.
Cass dachte an die eine Frage, die sie seit dem Tag der Beerdigung nicht mehr losgelassen hatte.
„Hör mal“, begann sie impulsiv, „das Baby …“
„Ja?“
Sein überraschter Blick brachte sie aus dem Konzept. „Ich meine, wo … wo ist sie denn jetzt?“
Das knappe „Warum?“ war nicht gerade ermutigend.
„Natürlich mache ich mir Gedanken um sie.“ Traute er ihr denn überhaupt keine Gefühle zu?
Fast schien es so, denn sein Mund wurde zu einem dünnen Strich. „Keine Sorge, sie ist versorgt. Sie bekommt genügend Nahrung und Flüssigkeit“, knurrte er.
Was für eine schreckliche Ausdrucksweise! Und dann sollte sie sich keine Sorgen machen? Ein Baby brauchte Liebe, Zärtlichkeit und Wärme. Aber er würde sich nur über sie lustig machen, wenn sie danach fragte. Also beschränkte sie sich auf Sachlichkeit.
„Neugeborene brauchen Stimulation und Körperkontakt, vor allem in den ersten Lebensmonaten. Sonst werden sie im späteren Leben Schwierigkeiten haben, Bindungen herzustellen.“
Er musterte sie mit undurchdringlichem Blick. „Wenn ich mich über Säuglingspflege informieren will, werde ich mir ein Sachbuch holen, Doktor.“ Er betonte das „Doktor“. „Aber falls das ein Angebot für freiwillige Hilfe sein sollte …“
Würde er die denn überhaupt akzeptieren? Sie bezweifelte es. „Ich würde ja gern, aber ich kann nicht“, wich sie aus. „Ich habe eine Karriere, an der ich hart gearbeitet habe, um sie wieder aufnehmen zu können.“
Fast hatte sie erwartet, dass er eine ironische Bemerkung machen würde, doch er nahm ihre Äußerung als Fakt hin. „Dessen bin ich mir bewusst. Ich bin auch nicht hier, um dich zu irgendetwas zu überreden.“
„Warum dann?“ Bestimmt nicht, um den Briefträger zu spielen.
Er überlegte einen Moment, bevor er antwortete. „Ich hatte gehofft, dass in dem Brief deiner Schwester die Bestätigung zu finden sei, dass Tom der Vater ist. Aber deiner Reaktion nach zu urteilen war dem wohl nicht so.“
„Nein“, bestätigte sie. „Traurig, dass keiner von euch beiden die Verantwortung übernehmen will.“
Eigentlich war es nur so dahingesagt, aber an seiner Miene merkte sie, dass sie zu weit gegangen war.
„Du bist dir so sicher, dass ich mit deiner Schwester geschlafen habe – warum eigentlich?“, verlangte er zu wissen.
So sicher war sie nun auch wieder nicht. Aber diese Frage stärkte noch ihren Verdacht. „Bisher hast du es nicht verneint.“
„Ach so, und deshalb muss es so sein? Oder vielleicht deshalb, weil du weißt, was für eine Frau deine Schwester war?“
„Nämlich?“
„Nun, drücken wir es mal so aus: Wenn ich gewollt hätte – das Angebot war da.“
Ob es nun stimmte oder nicht, es war völlig unnötig, so etwas zu sagen. „Du bist wirklich ein mieser Widerling, Drayton Carlisle“, fauchte Cass wütend. Sie wandte sich abrupt ab und wollte gehen, doch er hielt sie zurück.
„Bin ich das? Es gab mal eine Zeit, da hast du anders über mich gedacht. Erinnerst du dich noch? Du und ich zusammen?“ Ohne auf die Passanten zu achten, zog er sie zu sich heran und schloss sie in seine Arme, um seine Lippen hart auf ihren Mund zu pressen.
Natürlich versuchte sie sich loszumachen, doch ihr Körper sprach eine andere Sprache. Eine Hitzewelle durchströmte sie, als er ihre Schläfen und ihre Wangen mit seinen Lippen streichelte. Ja, sie erinnerte sich, erinnerte sich an diese wunderbaren drei Wochen. Drei Wochen in einer Fantasiewelt, auf Wolken schwebend, ein Herz, das vor Glück schier bersten wollte. Und dann war alles vorbei. Er hatte noch nicht einmal den Mut gehabt, es ihr selbst zu sagen, sondern hatte Pen die Schmutzarbeit überlassen.
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