Julia Extra Band 0193
gespreizt klang und Selbstbewusstsein verriet.
Zoë lächelte, als danach Kyle nach vorn trat. “Es ist eine Zeit des Neubeginns und der warmen Tage”, sagte er mit einer Geste, die der Lehrer ihm beigebracht haben musste. Dann schlug der Pianist an, und die Kinder sangen ein Frühlingslied. Kyle strahlte, als er seinen Vater zwischen den Zuschauern entdeckte. Von allen Kindern schien er am lautesten zu singen.
Nach dem Lied traten einige Kinder an die Rampe und trugen Gedichte vor. Kyle sagte das Gedicht “Osterglocken” auf, doch mittendrin begann er ein wenig zu stottern. Zoë flüsterte ihm die fehlenden Worte zu, damit er ja nicht den Faden verlor. Tatsächlich brachte er es zu einem guten Ende. Danach fiel der Vorhang, und es gab eine Pause.
“Daddy?” Alice langte über Zoë hinweg und zupfte ihren Vater am Ärmel. “Magst du meine Frisur?”, fragte sie und drehte sich so, dass er die kunstvoll geflochtenen Zöpfe sehen konnte.
“Sehr schön, Liebling”, sagte Callum.
“Das hat Zoë gemacht, und sie hat auch Barbie frisiert. Sieh mal!” Das Kind reichte ihm die Puppe, damit er auch dieses Kunstwerk bewundern konnte.
Zoë war diese Unterhaltung eher peinlich. Jetzt denkt er wahrscheinlich, dass ich meine Zeit mit solchen Nichtigkeiten vertrödele, und noch schlimmer fühlte sie sich, als Sally sich Callum zuwandte und die Puppe betrachtete.
“Das ist sehr gut, Zoë”, sagte sie von oben herab. “Sie haben Ihren Beruf verfehlt. Sie hätten Friseurin werden sollen.”
Zoë zwang sich, das Lächeln zu erwidern. “Oh, ich bin in vielen Dingen bewandert”, sagte sie treuherzig.
“Deine Haushälterin scheint eine Perle zu sein, Callum. Du musst mir die Agentur in London verraten. Ich könnte selbst jemanden wie Zoë gebrauchen.”
Callum ging nicht darauf ein, denn in diesem Augenblick gingen die Lichter wieder aus, und der Vorhang wurde geöffnet. Zoë konnte hören, wie Sally und Callum die Köpfe zusammensteckten und miteinander tuschelten. Das irritierte sie. Sie versuchte, sich auf Kyle zu konzentrieren, doch es wollte ihr nicht gelingen. Zu gern hätte sie gewusst, was Sally so Wichtiges mitzuteilen hatte.
Als die Kinder sich zum letzten Mal verbeugten, bedankte sich das Publikum mit stürmischem Applaus. Danach verkündete Kyles Lehrer, dass im anschließenden Raum Erfrischungen angeboten würden.
“Warum fahren wir nicht lieber zu mir nach Hause und trinken dort etwas?”, fragte Sally Callum.
“Das geht nicht, Sally. Ich habe kein Auto hier. Einer meiner Mitarbeiter hat mich hergebracht, und deswegen muss ich mit Zoë und den Kindern nach Hause fahren.”
Sally schenkte ihm einen verführerischen Blick und sagte: “Dann vielleicht an einem anderen Abend?”
“Ja, das wäre sehr nett.”
Zoë knöpfte indessen Alices Mantel zu, bemüht, das Gespräch zwischen Callum und Sally nicht zu verfolgen. Ob Sally ein Single ist? überlegte sie. So, wie sie sich verhielt, deutete alles darauf hin, dass sie dringend Anschluss suchte.
“Wollen wir nebenan noch eine Tasse Tee trinken?”, schlug Callum vor. “Was meinen Sie dazu, Zoë?”
“Wenn es Ihnen recht ist, würde ich lieber nach Hause fahren. Ich bin ein bisschen müde”, antwortete sie. Außerdem hatte sie genug von Sallys Getue.
“Natürlich ist es mir recht.”
Sie warteten, bis die Kinder hinter der Bühne hervorkamen und zu ihren Familien gefunden hatten. Kyle strahlte vor Aufregung, als er voller Erwartung auf seinen Vater zulief.
“Was denkst du, Dad?”, fragte er.
“Ich finde, du bist sehr gut gewesen”, antwortete Callum begeistert.
Sallys Tochter kam, nach neuester Mode gekleidet, langsam auf die Gruppe zu. Sie sah ihrer Mutter sehr ähnlich. Sie hatte die gleichen glatten schwarzen Haare und den gleichen kühlen Blick, mit dem sie zum Ausdruck brachte, wie langweilig sie das alles fand.
“Du warst sehr gut in dem Konzert”, sagte Zoë zu ihr, als sie auf dem Weg nach draußen waren.
“Ja, ich weiß”, erwiderte Clara. “Ich denke über eine Bühnenlaufbahn nach.”
Sie ist acht, aber sie führt sich auf wie eine Achtzehnjährige, dachte Zoë.
“Clara ist auf allen Gebieten begabt”, sagte Sally. “Sie ist unglaublich intelligent und wird die Schule schnell und ohne Schwierigkeiten durchlaufen. Sie ist ein bisschen wie ich in ihrem Alter.”
“Ich bin immer die Klassenerste”, bemerkte Clara, und dann mit einem fast fröhlichen Blick in Richtung Kyle: “Und Kyle ist immer unter den
Weitere Kostenlose Bücher