Julia Extra Band 0198
“Ehrlich gesagt weiß ich im Moment selbst noch nicht genau, wohin mich meine Reise führen wird …” Er stand auf, hakte gedankenverloren den Reißverschluss seiner Jacke ein und zog ihn über seinem beeindruckend breiten Brustkasten zu. Dann lief er einige Male rastlos im Zimmer auf und ab, bevor er sich Alecs fragendem Blick stellte.
Alec versuchte gar nicht, den Schreck zu verbergen, der ihn ereilte, als er den entrückten und zugleich beängstigenden Ausdruck der halb geöffneten grauen Augen seines Freundes sah. Unter der Oberfläche brodelten da intensive, wilde und ungestüme Emotionen. So wie gerade hatte Josh nicht mehr ausgesehen seit dem Tod von Bridie – jenen finsteren Tagen, als Josh von einer tief sitzenden Wut gepackt war und der einzige Mensch, der diesen Zustand tapfer ertragen und sich freiwillig den unbändigen Gefühlen ausgesetzt hatte, sein Bruder Jake gewesen war.
“Mal sehen, wohin mich die Reise führt … Ich begebe mich nämlich auf jemandes Spur.” Als Josh nun an die bevorstehende Unternehmung dachte, verzogen seine festen, breiten und ungemein sinnlichen Lippen sich zu einer grimmig wirkenden dünnen Linie.
“Willst du damit sagen, du
verfolgst
jemanden …?”
“Ja, eine Frau …” bekannte Josh ganz offen.
“Eine
Frau
!” Große Erleichterung machte sich jetzt auf Alecs Gesicht breit. Endlich – und deshalb zum Teufel mit Paris, dachte Alec hochherzig. Das war wirklich eine höchst erfreuliche Nachricht! “Es wurde ja auch langsam mal Zeit”, platzte es begeistert aus ihm heraus, denn es war einfach nicht natürlich, dass ein Mann wie Josh wie ein Mönch lebte. Und dies zumal angesichts all der Frauen, die sich an ihm interessiert zeigten …! Man erwartete ja gar nicht, dass Josh mit der erstbesten Frau sogleich eine feste Beziehung eingehen würde, aber nun waren es bereits
drei lange Jahre
, in denen er eine Frau noch nicht einmal angeschaut hatte … “Warum hast du mir das nicht gleich gesagt? Wie heißt sie denn?”
“Flora Graham.”
Alec verschluckte sich beinahe, und seine Gesichtsfarbe wurde schlagartig ganz fahl. “Du meinst doch wohl nicht
die
Flora Graham … die Tochter von … von dem, der …?”
Josh lächelte bitter. “Von dem, der den Tod meiner Frau verschuldet hat?” Er ignorierte Alecs verstörten und zugleich abwehrenden Blick; doch im Stillen fragte er sich, warum bloß alle Leute um ihn herum so oder ähnlich reagierten und diesen David Graham in Schutz nahmen – alle außer ihm, Josh. “Doch, genau den meine ich”, sagte er dann ganz ruhig.
Alec hatte erwartet, dass Josh aufbrausen würde, wenn das Thema angeschnitten wurde, und um so froher war er, dass sein Freund anders als sonst erstaunlich ruhig blieb. Gleichzeitig konnte er es sich aber einfach nicht vorstellen – Josh mit Flora Graham … auch wenn Alec in seinem Leben schon so manch ungleichem Paar begegnet war.
Josh hatte eine beträchtliche Zeit gebraucht, um mit dem Umstand fertigzuwerden, dass seine junge Frau, die er angehimmelt hatte, während der Geburt ihres gemeinsamen Kindes verstarb. Auf dramatische Weise waren seine tiefen Wunden erneut aufgerissen worden, als zu Beginn des Jahres ans Licht der Öffentlichkeit gekommen war, dass gegen den allseits respektierten Arzt Sir David Graham, der auch Bridies Gynäkologe gewesen war, Anklage wegen Drogenmissbrauchs erhoben wurde.
Allerdings hatte man die Anklage nach einer Weile in den Kernpunkten wieder zurückgezogen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sie zu Unrecht erhoben worden war. Dies hatte aber dem Medieninteresse keinerlei Abbruch getan; im Gegenteil – der “Fall Graham” hatte die Medienvertreter bereits voll und ganz in Bann gezogen.
Auch in der Sache, die Josh betraf, hatte das Gericht seine harten Vorwürfe gegenüber Graham zurückgewiesen. Die Richter bekundeten Josh gegenüber zwar ihre Anteilnahme, konnten sich jedoch zu keiner Verurteilung durchringen; ihre eingehenden Untersuchungen waren auf keinerlei Beweis dafür gestoßen, dass jemals ein Patient von Sir David durch ihn Schaden genommen hätte, nur weil der Arzt persönlich ein schweres Problem hatte. Diese nach Joshs Ansicht uneinsichtige Haltung des Gerichts hatte Joshs aufgeheiztem Gemüt und seiner festen Überzeugung, schweres Unrecht erlitten zu haben, weitere Nahrung geliefert und gleichzeitig sein Verlangen, Rache zu üben, weiter gesteigert.
Zu Alecs großer Verwunderung hatte Josh, gemessen an den Rachegefühlen, die
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