Julia Extra Band 0198
hören.
“Ich war mit der gesamten Arbeit hier schon so gut wie fertig, also kam ich noch mal her, nachdem ich Liam ins Bett verfrachtet hatte”, erklärte er ihr. “Außerdem lässt es sich ohne Ablenkungen besser arbeiten.” Auf seinem Gesicht zeigte sich ein leicht freches Grinsen.
Flora versuchte aufgeregt, diese vieldeutige Bemerkung zu deuten. Hält er mich für eine Ablenkung, und wenn ja, meint er dies in einem positiven Sinne? Sie wurde so panisch, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte und so auf diese heikle Frage keine Antwort fand.
“Tut mir leid, wenn ich Ihnen gestern im Weg gestanden habe.” Flora ärgerte sich über sich selbst, dass sie gerade so klang wie ein schüchternes kleines Mädchen.
“Ach, wirklich?” Schmunzelnd. fuhr er sich mit einer Hand durch sein leicht zerzaustes Haar. “Übrigens hätte ich Sie gar nicht so eingeschätzt, dass Sie eine Schwäche für Plüschtiere haben.”
Leicht verlegen ließ Flora den Bären, den sie bis dahin an die Brust gepresst hielt, locker; als Beschützer war er sowieso nicht von großem Nutzen. “Ich habe ihn hier für Liam gekauft”, sagte sie und streckte das Stofftier Josh entgegen. “Ich hatte gedacht …” Sie zuckte wortlos die Achseln. “Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen …?”
“Warum sollte ich etwas dagegen haben?” Er nahm ihr den Bären ab und setzte ihn auf eine der mittleren Sprossen seiner Leiter. “Liam wird ihn lieben.”
Flora atmete erleichtert auf.
“Ich habe übrigens die restliche Farbe in die Garage gestellt”, teilte er ihr nun prosaisch mit.
Jetzt redete er plötzlich wieder über ganz Belangloses; Flora spürte, wie sie dies – ganz gegen den Willen ihres Verstandes – bedauerte. “Nun, entspricht meine Arbeit Ihren Vorstellungen?” Er besah sich lässig sein vollbrachtes Werk.
“Also, erwartet hatte ich diese Form der Gestaltung wohl nicht”, antwortete sie ganz offen. “Unglaublich, auf was für ausgefallene Ideen Sie kommen. Und auch technisch ist alles einwandfrei ausgeführt”, bekannte sie offen ihre Bewunderung. “Sie haben wirklich sehr großes Talent.”
Josh schaute zu, wie Flora jedes gemalte Motiv an den Wänden noch einmal genau studierte und hin und wieder dabei schmunzelte.
“Haben Sie sich nicht schon einmal überlegt, so etwas wie diese Malereien hier professionell anzufertigen?” Sie sah ihn neugierig an. “Ich meine richtige Ölgemälde, Aquarelle …”
“Meine Familie wollte das nicht als einen ordentlichen Beruf für einen erwachsenen Mann gelten lassen.”
Flora legte die Stirn in Falten. “Mein Vater fand auch nicht, dass Anwältin im Strafrecht der richtige Beruf für eine Frau sei”, meinte sie ganz nüchtern. Es gefiel ihm gar nicht, dass seine einzige Tochter in Berührung kam mit Kriminellen aller Art. “Aber er hat mich nicht umstimmen können.” Es war ihr unangenehm, gerade wohl etwas sehr stolz geklungen zu haben. “Nicht, dass man meinen Fall und Ihren irgendwie vergleichen könnte …” Sie befleißigte sich, ihm rasch zu verdeutlichen, dass ihr das Dilemma, in dem speziell er steckte, vollauf bewusst war. “Ich habe natürlich mehr Spielraum bei meinen Entscheidungen, denn ich habe keine Verantwortung für ein Kind.”
“Was das angeht, da hat mich meine Familie allerdings sehr hilfreich unterstützt.” Im Stillen entschuldigte Josh sich bei seiner Verwandtschaft dafür, sie eben gegenüber Flora als engstirnig charakterisiert zu haben. “Und jetzt kann ich ihre Hilfe auch annehmen. Anfangs wollte ich alles allein schaffen und dem Rest der Welt beweisen, dass ich eine noch bessere Mutter sein kann als die leibliche.”
Flora konnte heraushören, dass er keine leichte Zeit durchgemacht hatte. Sie merkte, wie ihr dies nahe ging. Aber hatte sie denn noch nie eine traurige Geschichte gehört? Wieso nur wurde sie bei diesem Mann so sentimental und entwickelte gar ein Bedürfnis, ihn zu
beschützen
? Er war doch schließlich selbst ein großer, starker Mann und brauchte keine mütterliche Betreuung. Allerdings fühlte sie sich alles andere als mütterlich, wenn sie in Josh Prentices Nähe war …
“Wie geht es Liam?”
“Gut – ich hoffe, er schläft sanft und selig. So wie wir alle das um diese Uhrzeit tun sollten. Doch ich habe mich zum Melken der Kühe verpflichtet, und wenn ich auf die Uhr schaue, ist es schon bald so weit …”
Zum ersten Mal entdeckte Flora matte blaue Flecken unter seinen Augen. “So früh aufstehen
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