Julia Extra Band 0198
es noch deutlicher formulieren würde, dass er nichts von ihr wollte – auch dann würde sie das überhaupt nicht wahrhaben wollen!
4. KAPITEL
Es war bereits nach drei Uhr in der Frühe, als Flora endlich daheim im Landhaus ankam. Sie hatte sich auf dem Weg von der Holyhead-Fähre zurück mehrmals verfahren, was sie eine gute Stunde extra gekostet hatte.
Nun, wenigstens konnte sie um diese Uhrzeit sicher sein, Josh nicht im Haus anzutreffen. Und auch genau aus diesem Grunde, ihn nicht sehen zu müssen, hatte sie den Tagesausflug nach Irland unternommen. Josh hatte tags zuvor mehrere Stunden lang das Kinderzimmer gemalert, doch da hatten die beiden nur ein paar höfliche Floskeln ausgetauscht, bevor Flora zu einem verregneten Waldspaziergang aufgebrochen war. Wohlweislich war sie erst dann zurückgekehrt, als sie sicher sein konnte, dass Josh die Arbeit beendet und das Haus verlassen hatte. In ihrem neuen und teuren Paar Schuhe hatten ihr die Füße übel geschmerzt, aber trotzdem war dies keine so große Pein gewesen, als wenn sie den ganzen Tag in Joshs Gegenwart hätte verbringen müssen! Der Tagesausflug nach Dublin war die perfekte Lösung gewesen – auch wenn ihr an diesem Tag eigentlich gar nicht der Sinn danach gestanden hatte, eine Stadt zu erkunden. Sie hoffte, dass Josh mit seiner Arbeit inzwischen nahezu fertig geworden war und es also in Kürze keinen Grund mehr gab, ihm über den Weg zu laufen. Doch die erwartete Freude und Genugtuung bei diesem Gedanken wollte sich nicht einstellen.
Sobald sie das freundliche rote Backsteinhaus betreten hatte, entledigte Flora sich der drückenden Schuhe und der diversen Einkaufstüten. Doch sie merkte schon, dass die sonst so effektive Selbsttherapie, einkaufen zu gehen, diesmal nicht wirkte. Müde schleppte sie sich die schmale Treppe hinauf in den oberen Stock. Auf halber Treppe kehrte sie noch einmal um und schnappte sich eine bestimmte Tüte. Daraus zog sie einen großen Plüschbären hervor. Sie drückte ihn an ihre Brust und ging die Stufen wieder hinauf. Als sie dieses niedliche Plüschtier entdeckt hatte, war ihr sofort Liam eingefallen. Ihre einzige Hoffnung war, dass Josh jetzt nicht irgendetwas hineinlesen würde in den Umstand, dass sie dem Kleinen spontan einen Bär schenken wollte …etwa, dass sie sich bei dem Kind einschmeicheln wolle, um schlussendlich die Gunst des Vaters zu gewinnen. Und wie begründet solch ein Verdacht wäre – wie sehr sie die Gunst dieses Mannes tatsächlich erwerben wollte! Da sah sie, dass ein schmaler Lichtschein von unter der Kinderzimmertür her auf den Flur fiel. Josh musste beim Weggehen vergessen haben, das Licht auszuschalten.
“Oooh!”, geriet sie beim Öffnen der Tür ins Staunen. Das grelle Licht der blanken Glühbirne legte den Blick frei auf eine wahrhaft spektakuläre Kulisse. Zutiefst beeindruckt schritt Flora bis zur Mitte des Zimmers vor. Der bis vor Kurzem so dunkle und unscheinbare Raum war zu neuem Leben erwacht. Mehrere atemberaubende Wandmalereien verwandelten das Zimmer in einen zauberhaften Ort. Selbst wenn Flora mit ihren siebenundzwanzig Jahren nicht mehr an Märchen glaubte, konnte sie sich dem Zauber nicht entziehen. Sie hätte glauben mögen, dass sie sich unter Wasser befand. Alles sah wie echt aus. Fantastische Wesen lugten da hinter Felsen und aus halb geöffneten Muscheln hervor. In den lebendigen Unterwasserszenen gab es für ein Kind Unmengen von versteckten kleinen Überraschungen zu entdecken.
Vorsichtig berührte Flora mit einer Fingerkuppe die Wand und zog die Hand rasch zurück, als sich die Farbe noch etwas feucht anfühlte. “Was für eine Verschwendung an Talent, Teddy”, sagte sie leise zu dem Bären in ihrem Arm, wobei im Unterton auch Hochachtung mitschwang. “An ihm ist ein richtiger Künstler verloren gegangen.”
“Eine interessante Einschätzung.”
Wie von der Tarantel gestochen wirbelte Flora auf dem Absatz herum. Einen Arm am Türrahmen abgestützt, stand Josh da, in voller imposanter Größe und aufregender Schönheit. Er hatte Flora anscheinend schon seit geraumer Zeit beobachtet. Sein athletischer Körper blockierte die Tür. Flora war nach Fliehen zumute, doch merkte sie sofort, dass dies ein aussichtsloses Unterfangen sein würde.
“Ich … ich wusste nicht, dass Sie …” stotterte sie. “Was tun Sie denn immer noch hier? Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?” Ihr Herz pochte so laut, dass sie befürchtete, er könnte es in der Stille des Raumes
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