Julia Extra Band 0198
Nase. Ein Fetzen Papier blieb zwischen ihren Fingern zurück, als Josh ihr den Brief aus der Hand riss. “War deine Frau eine Patientin meines Vaters?”, fragte sie mit ausdrucksloser Miene. “Bist du mir aus London gefolgt?”
Josh schaute ihr kurz ins Gesicht, wandte seinen Blick dann aber sofort wieder dem beschriebenen Blatt Papier zu.
Sie wartete auf eine Antwort – eine, die ihr alles bedeutete. Sein kurzer Blick verriet Flora alles. In diesem Moment verflog der kleine Funken Hoffnung, mit dem sie hergekommen war. Sie war überzeugt gewesen, dass es keinen Sinn für jemanden haben konnte, sich Lügen auszudenken, dennoch hatte Flora in ihrem Innersten immer noch nicht geglaubt, dass die Behauptungen in dem anonymen Brief wahr waren – nicht bis gerade eben. Auf dem gesamten Weg zu diesem Platz am See hatte sie sich immer wieder vorerzählt, dass sie es doch
gemerkt
hätte, wenn er die ganze Zeit etwas vorgetäuscht hätte.
“Verstehe.” Doch ehrlich gesagt konnte sie es überhaupt nicht verstehen, wie jemand so kalkulierend und grausam sein konnte. “Du hattest einfach bloß nicht daran gedacht, mir gegenüber etwas davon zu erwähnen.”
Schmerzen und herbe Enttäuschung standen ihr ins Gesicht geschrieben. Sie beobachtete, wie Josh den Inhalt des Briefs überflog; auch wenn Josh unverschämt gut aussah, wirkte er jetzt angestrengt. Wütend, ja, er war wütend – aber bestimmt nicht, weil er da etwas Gehässiges liest, sondern weil es die Wahrheit ist und ich sie erfahren habe, bevor es ihm lieb ist, dachte Flora. Für wann hatte er wohl geplant, den Ballon platzen zu lassen? fragte sie sich jetzt düster.
“Ich wollte dir nichts Böses antun und dich nicht verletzen, Flora.” Er hob den dunklen Kopf. Sein Gesichtsausdruck war finster, und seine Augen glänzten; sie strahlten geradezu leidenschaftlich Ehrlichkeit aus.
Diese trotz des schönen Scheins wenig überzeugende Ehrlichkeit machte Flora richtig wütend; sie hatte für alle Zeiten genug von seiner sogenannten Ehrlichkeit!
“Es sieht allerdings ganz so aus, dass du genau dies tun wolltest!”, zischte sie ihn verächtlich an. “Oh, es leuchtet mir sehr ein, dass meine Gefühle für dich dir gerade gelegen kamen, denn auf dem Umweg über mich hattest du es auf meinen Vater abgesehen. Wie gemein von ihm, einfach zu sterben und dir damit einen Strich durch deinen geplanten Rachefeldzug zu machen!” Sie unterdrückte einen Seufzer und zuckte mit verächtlicher Miene zurück, als er die Arme nach ihr ausstreckte. Ob er wohl schon eine neue Strategie ausgeheckt hatte, während sie weinend ihren Vater zu Grabe getragen hatte? “Verkaufst du deine Geschichte an die Zeitschriften, um mir Schmerzen zu ersparen?”
Zähneknirschend zog Josh seine abgewiesene Hand zurück. “Ich verkaufe überhaupt nichts!” Ehrlich gesagt wäre er in dem Moment bereit gewesen, seine Seele zu verkaufen, wenn er damit Floras schmerzerfüllten Blick hätte in ein glückliches Lächeln verwandeln können. “Du kannst doch nicht wirklich ernsthaft meinen, dass ich so etwas tun würde?”
“Meinst du nicht auch, es ist jetzt ein bisschen spät dafür, mir die Arie von Aufrichtigkeit und Anständigkeit vorzusingen?”, fragte sie ihn verbittert.
“Glaubst du wirklich, ich gehöre zu den Leuten, die um jeden Preis berühmt werden wollen – egal womit?”
“Egal, selbst wenn man dir diesen einen Punkt vielleicht auch nicht unterstellen kann: Wenn auch nur ein geringer Teil von dem, was da in diesem Brief steht, stimmt, dann reicht es schon, dich zu verachten.”
“Warum dann aber mit bloßer Verachtung schon zufrieden sein?”, schleuderte er ihr voll verzweifelter Ironie entgegen. “Warum nicht gleich auch eine anständige Anklage, ein Termin vor Gericht …?” Ihr daraufhin vorwurfsvoller Blick traf ihn wie ein scharfes Messer.
Doch mit Worten ging sie auf seine Bemerkung nicht ein. “Noch bis vor Kurzem hätte es vieles gegeben, das ich dir nicht zugetraut hätte, Josh, aber inzwischen bin ich eines Besseren belehrt worden.” Sie sah, wie seine Gesichtsmuskeln sich anspannten, als er die volle Überzeugung aus ihrer kalten Stimme heraushörte. Sie verspürte boshafte Genugtuung. Es geschah ihm ganz recht, dass er sich unter diesen Umständen und in dieser Situation höchst unwohl fühlte. Doch so richtig mochte sie daraus kein Wohlgefühl beziehen.
“Ja, bis vor Kurzem hätte ich meine Hand ins Feuer gelegt, dass du nichts Gemeines tust.” Und
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